: Bewaffnete Verteidigung gegen Rechts?
■ Heftige Diskussion um Giordano-Ankündigung/ Nach Mölln keine Hoffnung mehr auf Polizei
Berlin (taz) – Mt großer Empörung hat gestern das Bundeskanzleramt auf die Ankündigung des Schriftstellers Ralph Giordano reagiert, er würde sich jetzt bewaffnen, weil die Regierung einen wirksamen Schutz nicht bieten könne oder wolle. In einem Telegramm an Kanzler Helmut Kohl hatte Giordano mitgeteilt, „daß nunmehr Juden in Deutschland dazu übergegangen sind, die Abwehr potentieller Angriffe, bis zum bewaffneten Selbstschutz, selbst in die Hand zu nehmen“. Kanzleramtsminister Bohl und CDU-Generalsekretär Hinze nannten es „unerträglich“, Kohl für die Gewalttaten in Mölln und anderswo verantwortlich zu machen. Statt dessen, so Bohl, müßten gerade jetzt Intellektuelle wie Giordano der Gewalt widerstehen, wenn das Gemeinwesen nicht schweren Schaden nehmen solle. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Deutschland Ignatz Bubis teilt Giordanos Einschätzung, Juden in Deutschland würden sich bewaffnen, nicht, äußerte aber Verständnis, daß Giordano sich bedroht fühle. Politik und Justiz hätten die rechtsradikalen Täter ermuntert und bisherige Anschläge verharmlost.
Die Frage des Selbstschutzes wird auch unter Türken in Deutschland breit diskutiert. Auf Fragen der taz erklärten alle Angesprochenen, sie würden von Polizei und Politik keinen Schutz mehr erwarten. Einige bekannten sich dazu, sich bereits mit wirksamen Abwehrmitteln versorgt zu haben. Das türkische Mitglied des IG-Metall-Bundesvorstandes, Yilmaz Karahasan, warnte in einem taz-Interview seine Landsleute davor, „jetzt auf Gegenangriffe zu setzen“. „Das wäre höchst gefährlich.“ Türkische Unternehmer kündigten einen Steuerboykott an, solange Ausländer nicht wirksam geschützt würden.
Offenbar in Kenntnis dieser Stimmung, forderte Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger alle Deutschen auf, nun deutlich zu beweisen, daß dies kein ausländerfeindliches Land sei. Alle engagierten Demokraten müßten nun entschlossen gegen Rassismus auftreten, dann werde es keine Spirale der Gewalt geben. Auch Bundespräsident von Weizsäcker teilte seinen Landsleuten mit, daß die „rechtsradikalen Zellen, die sich gebildet haben, zerstört werden müssen. Trotz hohen Ermittlungsdrucks hat die Polizei noch keine konkrete Spur der neonazistischen Täter von Mölln. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte, derzeit gehe die Sonderkommission Mölln zwanzig Hinweisen nach, die „heiße Spur“ sei aber noch nicht dabei. Die Stimme des anonymen Anrufers, der sich unmittelbar nach den Anschlägen bei Polizei und Feuerwehr gemeldet hatte, ist nach Informationen der taz nicht auf Band. Die drei bei dem Anschlag in der Nacht zum Montag getöteten Türkinnen, eine Frau und zwei Mädchen, starben an schwersten Brandverletzungen und Kohlenmonoxid-Vergiftungen. Die neun Verletzten sind außer Lebensgefahr. Seiten 4, 5 und 10
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