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Betrugsvorwürfe gegen Hans NiemannSchummelsport Schach

Endlich redet Schachsuperstar Magnus Carlsen so etwas wie Klartext und bezichtigt Hans Niemann des Betrugs. Doch Beweise fehlen immer noch.

Spiel des Anstoßes: Magnus Carlsen (l.) und Hans Niemann beim Sinquefield Cup in Saint Louis Foto: Crystal Fuller/dpa

Endlich! Am Montagabend erklärte sich der fünffache Schachweltmeister Magnus Carlsen erstmals in einem Statement auf Twitter. Sein Verhalten in den letzten Wochen hatte nicht nur in der Schachwelt für Furore gesorgt. Nun hat der Betrugsskandal im Schach eine konkrete Form angenommen – und fängt erst richtig an.

Das lang erwartete Statement von Superstar Magnus Carlsen hat es in sich. Nachdem er in den Wochen zuvor mehrmals kryptisch angedeutet hatte, etwas könne mit dem US-amerikanischen Schachjüngling Hans Niemann nicht stimmen, spricht er nun Klartext: „Ich glaube, dass Niemann häufiger – und in jüngster Vergangenheit – betrogen hat, als er öffentlich zugegeben hat.“

Hier verweist Carlsen auf ein Interview von Niemann, das dieser vor drei Wochen nach der fünften Runde im renommierten Sinquefield Cup gegeben hat. Dort behauptete Niemann, er hätte in seinem Leben ausschließlich zwei Mal online im Alter von 12 und 16 Jahren betrogen. Außerdem hätte er noch nie over the board, also am Brett, geschummelt.

Eine glatte Lüge. Das glaubt zumindest Carlsen, der in seinem Statement unzweideutig anmerkt: „Niemanns Fortschritte am Brett sind ungewöhnlich und während unserer Partie im Sinquefield Cup hatte ich den Eindruck, dass er sich bei den kritischen Stellungen nicht einmal richtig konzentrierte, während er mich mit den schwarzen Steinen gegen die Wand spielte.“

Auch wenn Carlsen in diesem Abschnitt Wörter wie „Betrug“ oder „schummeln“ nicht verwendet, ist der Vorwurf unmissverständlich: Niemann soll auch am Brett mehrmals betrogen haben, zuletzt gegen Carlsen vor drei Wochen in der Schachstadt St. Louis.

Eine gewisse Verderbtheit

Dort traf der Norweger „eine beispiellose professionelle Entscheidung“, wie er sagte, indem er vom hochdotierten Sinquefield Cup zurücktrat, nachdem er in der dritten Runde gegen Niemann verloren hatte. Statt eine ausführliche Erklärung abzugeben, tweetete Carlsen ein Video, in dem Fussballtrainer José Mourinho sagt: „Ich ziehe es vor, nicht zu reden. Wenn ich rede, komme ich in Schwierigkeiten. Und ich möchte nicht in Schwierigkeiten geraten.“ In den darauffolgenden drei Wochen war die Schachwelt in Aufruhr. Was war passiert? Hatte Carlsen gar wie einst Bobby Fischer den Verstand verloren?

Aufgrund von Niemanns bekannten Online-Betrügereien verbreitete sich schnell die Theorie, der allgemeinhin als fair geltende Carlsen müsse das Turnier verlassen haben, weil er Niemann verdächtigt. In den sozialen Medien machten nun schnell krude Theorien über ferngesteuerte Sexspielzeuge und Maulwürfe, die Carlsens Vorbereitung geleakt haben sollen, breit. Die internationale Boulevardpresse, ganz vorn mit dabei Bild, stürzte sich auf die Verderbtheit, die diesem Skandal bislang anhaftete.

Durch sein Statement hat Carlsen vielen Spekulationen endlich ein Ende bereitet. Ein kurzer Seufzer der Erleichterung geht durch die Welt. Doch die wichtigen Fragen sind längst nicht geklärt. Hat Niemann nun betrogen oder nicht? Wenn ja, wie soll er das bei einem Turnier, dessen Sicherheitssystem laut Veranstalter der des Weißen Hauses überlegen ist, über die Bühne gebracht haben? Gibt es Beweise und wie sollen diese Beweise aussehen?

Betrug im Schach ist kein neues Phänomen. Die Plattform chess.com gibt an, täglich über 500 Konten aufgrund von Verletzung der Fairplay-Regeln zu schließen. Die Häufigkeit lässt sich ganz einfach dadurch erklären, dass es ein Leichtes ist, neben der Partie ein zweites Schachprogramm laufen zu lassen, das einem die besten Züge ausspuckt. Betrügereien zu entdecken, stellt das professionelle Schach vor große Probleme. Die Onlineplattformen haben als private Firmen viel Geld in Algorithmen investiert, die Betrüger identifizieren sollen. Doch der Weltschachverband Fide hat noch keinen Zugang zu diesen Algorithmen. Solange dem so ist, bleibt das Profi-Schach ein Schlangennest, wo jeder jeden beschuldigen kann.

Carlsen hat jedenfalls angekündigt, dass er kein Turnier mehr mit Niemann oder anderen Spielern, die in der Vergangenheit betrogen haben, spielen wird.

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3 Kommentare

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  • 9G
    92489 (Profil gelöscht)

    Die Theorien würde ich nicht als "krude" bezeichnen. Hier wurde schön analysiert wie Niemann sich im Interview mit dem Saint Luis Chess Club im Endeffekt um Kopf und Kragen redet www.youtube.com/watch?v=OK9ZkoSQNFs. Zuvor hatte ich auch den Verdacht das Carlsen nach dem Abdanken auf einmal am Rad dreht, aber inzwischen glaube ich Niemann nicht Mal mehr seine Frisur.

    • @92489 (Profil gelöscht):

      Ich spreche hier mal als Psychologe. Was dieser Mensch macht, ist absoltue Pseudowissenschaft. Wenn es einen sicheren Weg gäbe, anhand der Körpersprache jemanden der Lüge zu überführen, dann würde Lügen nicht mehr funktionieren. Lügendetektoren funktionieren nicht und die Technik von diesem Youtuber funktionieren auch nicht. Seine anderen Videos lassen zudem vermuten: seine Videos sind klar politisch motiviert. Niemand - und ich meine absolut niemand - kann z.B. anhand der Körpersprache eine Borderline Persönlichkeitsstörung diagnostizieren und allein die Idee ist schon gefährlich an sich und kann dazu führen, dass Menschen mit und ohne diese Diagnose stigmatisiert werden. Allein das Konstrukt dieser Störung ist schon so weich, dass es da überhaupt keine vernünftigen Kriterien geben kann. Dieser Channel ist ein sehr lukrativer Betrug. Hier noch ein Link, der das ganze weiter aufdröselt: therewiredsoul.med...lained-ba5ee913637

  • Bei dem Verdacht den Hans Niemann betrifft, macht gerade ein Video von Yosha Iglesias aus Paris die Runde. Das Hamburger Schachprogramm ChessBase bietet die Funktion “Let’s check” bei der Partieanalyse. Der anonyme Hinweisgeber Gambitman hat auf Twitter als Erster veröffentlicht, dass 8 Partien von Hans eine Engine/Game Correlation von 100 aufweisen. Das ist der bisher schwerwiegendste Beweis für Computerbetrug. Der 19-jährige Großmeister spielte nämlich in vielen Partien stärker als alle Weltmeister, wenn man seine Partien mit dem Tool unter die Lupe nimmt. Das dürfte das Todesurteil für seine Karriere sein.

    Von einem Schlangennest, wo jeder jeden beschuldigen kann, würde ich deshalb nicht sprechen. Eher von einem zögerlichen Weltschachverband FIDE, der sich überlegen sollte, ob Online-Cheater nicht automatisch auch für Präsenzturniere gesperrt werden sollten. Niemann hat zugegeben, mit 12 und 16 Jahren betrogen zu haben. Das ging ganz einfach im Livestream mit dem iPad auf dem Schoß. In einem alten Video von Daniil Dubov und Vlad Tkachev wird aufgezeigt, dass mit einem Knopf im Ohr sogar Schnellpartien leicht manipuliert werden können. Bei dem Millionenbetrüger Mike Postle fiel beim Pokern nicht auf, dass er durch sein Smartphone bestens über die Karten seiner Gegner Bescheid wusste.

    Mit der Zeit werden wir sicher mehr erfahren. Historisch betrachtet ist ein anderer Schachbetrug hochinteressant. Im Jahr 1769 stoßen wir auf den österreichisch-ungarischen Hofbeamten und Mechaniker Wolfgang von Kempelen. Dieser erlangte durch eine spezielle Konstruktion zu solch einer großen Berühmtheit, die ihm sogar Einladungen an Königshöfe verschaffte. Der erste Schachroboter war als mechanischer Schachspieler mit orientalischem Aussehen geboren. Als umgangssprachliche Bezeichnung setzte sich der “Schachtürke” durch. Ein kleinwüchsiger, menschlicher Schachspieler verbarg sich jahrelang unerkannt hinter der Fassade bis jemand auf dem Jahrmarkt "Feuer, Feuer" gerufen haben soll.