Betrügerischer Fußball: Ungerechtigkeit – der Sinn des Spiels

Fußball ist oll, nicht fair und ungeregelt, sagt der Soziologe Roman Horak. Genau das findet er super. Ein Plädoyer gegen die Modernisierung.

Wembley, 1966: Tor oder nicht? Beweise ändern nichts an der Haltung Bild: dpa

Das Fußballspiel ist ja eigentlich etwas ganz Seltsames. Die Differenz des Fußballs zu allen anderen Mannschaftssportarten ist ja die, dass das Spiel völlig ungeregelt ist. Das heißt, man kann durch offensichtliche und versteckte Fouls, Zeitschinden und dergleichen das Spielgeschehen mitgestalten. Das heißt, man kann betrügen! Das ist ein wichtiger Punkt.

Es ist ein unfairer Sport, und er ist schlecht kontrolliert. Ich liebe das. Ich behaupte, der Sinn des Spiels ist genau das. Warum ist Fußball das weltweit verbreitetste Sportspiel? Deshalb! Weil es schlecht kontrolliert ist. Weil es die Chance des Betrugs ermöglicht. Es gibt nicht vor, so kontrolliert zu sein wie Eishockey, Basketball, American Football und all diese zerstückelten Spiele.

Im Fußball gibt es keine Gerechtigkeit. Es ist wie das Leben selbst. Das wissen alle, und das macht es so interessant. Darum bin ich auch gegen jede Modernisierung im Namen einer höheren Gerechtigkeit. Es muss die Möglichkeit erhalten bleiben, dass der Ball im Tor ist und der Schiri das Gegenteil feststellt. Da bin ich radikal dafür. Der Irrtum und die Ungerechtigkeit müssen Teil des Spiels bleiben, weil das die Faszination des Spiels ausmacht.

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Man darf nicht vergessen, dass Fußball ein Spektakel mit seit 120 Jahren kaum veränderten Regeln ist. Der Fußball ist in seiner Struktur komplett atavistisch, vormodern und schlecht geregelt. Gleichzeitig ist er aber in seiner Ökonomisierung und Medialisierung hochmodern. Das ist eigentlich ein Widerspruch. Einerseits geht es um unglaublich viel Kohle, andererseits ist das Spiel so ungeregelt.

Zum Glück kein American Football

Das geht eigentlich nicht zusammen. Ich glaube aber, dass in der Uefa einige schlaue Köpfe überrissen haben, dass das Spiel davon lebt. Stellen Sie sich vor, das Spiel wäre so geregelt wie American Football. Das ist eigentlich unvorstellbar, weil es nicht mehr das selbe Spiel wäre. Ein, zwei NFL-Spiele habe ich gesehen. Ich empfand das als entsetzlich fad. Spielzug – Pause – Spielzug – Pause – Werbung – Spielzug – Pause.

Oder Basketball. In den frühen 90er Jahren habe ich mir in den USA ein paar Basketballspiele der NBA angesehen. Das waren dermaßen absurde, fremdgesteuerte Verhaltensweisen der Zuschauer, die mich deprimiert haben. Dieses Befolgen der Aufforderungen auf dem Videowürfel, das ist so weit weg von dem, was ich mir unter einem Sportspektakel vorstelle.

Das mag für die USA passen, aber für eine europäische Kultur passt das nicht. Da bin ich altmodisch, da liebe ich den Atavismus. Ich habe eine andere Idee von Fluss und Beweglichkeit. Jede Form der Modernisierung des Spiels im Namen der Gerechtigkeit mag moralisch richtig und ökonomisch vernünftig sein, aber es bringt das Spiel in seiner Substanz um. Die Substanz ist Ungeregeltheit, schlechte Kontrolle und Ungerechtigkeit.

Haltung ändert sich nicht durch Beweise

Die Frage der Medialisierung ist spannend. Man kann Szenen wiederholt sehen und dennoch bleibt die Deutungsdebatte bestehen. Das Wembley-Tor 1966 ist so ein Beispiel. Englische Wissenschaftler erklären, der Ball war drin, Deutsche, er war draußen. Mit den modernsten wissenschaftlichen Methoden kommt man zu differenten Ergebnissen. Aber das ist das Gute. Das Spiel braucht diese Geschichten. Medien sind kurzlebig. In diesem Bilderschwall, dem wir ausgesetzt sind, kann sich doch kein Mensch ein Bild merken. Aber die Geschichten bleiben.

Es wäre ja naiv zu glauben, dass sich durch die objektive Beweislage die Haltung von Menschen ändern kann. Ein aufklärerischer Irrtum. Das ist der Fluch der Aufklärung überhaupt: Diese Vorstellung, dass man mittels eines Arguments der Vernunft die Dummheit oder den Irrtum vernichten kann. Das geht nicht. Man kann nur eine Gegenposition formulieren. Weil wir Menschen irrationale Monstren sind. Da hat der Sigmund Freud schon recht. Zumindest sind wir Subjekte zwischen Wahnsinn und Realität.

(Aufgezeichnet von Gregor Labes)

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