■ Betroffene Mütter, alte SED-Kader und junge Autonome fahren in einem Friedenskonvoi nach Belgrad, um gegen die „Nato-Aggression“ zu protestieren. Über einen Glücksfall für die serbische Propaganda Von Silke Mertins: Lügen in den Zeiten des Krieges
Auf dem Parkplatz an der Budapester Straße in Dresden herrscht großes Gewusel. Drei Reisebusse sind abfahrbereit, aber noch immer laufen und reden alle durcheinander, werden Gepäckstücke ein- und wieder ausgepackt, weil keiner weiß, wohin die Fahrt des „Friedenskonvois nach Belgrad“ nun wirklich gehen wird.
Wie eine Heilsbringerin in einer heillos unübersichtlichen Lage taucht plötzlich die Initiatorin des Konvois auf: Ilona Rothe, die Mutter der Bewegung „Mütter gegen den Krieg“. Die Kamerateams und Reporter stürzen auf die 49jährige Erfurterin zu. Die, ganz Missionarin im Land der Heiden, wiederholt gebetsmühlenartig die imme gleichen Sätze: „Wir haben unsere Kinder nicht geboren, damit sie sich gegenseitig totschießen.“ Und: „Unsere Söhne sollen nicht zu Mördern gemacht werden.“
Rothe hat es dem Chemnitzer Lothar Häubl, der über Nacht die Gruppe „Frieden Jetzt“ gegründet hat, überlassen, die Organisation der Fahrt nach Belgrad in die Hand zu nehmen. Gewichtig schiebt sich der arbeitslose Ingenieur, der seine politische Vergangenheit im unklaren läßt (,,das ist nicht wichtig“), durch die Menge. Ein Sammelvisum gibt es noch immer nicht, und Häubl hält es für das beste, zu einer Großdemonstration nach Italien zu fahren. Doch die TeilnehmerInnen, die sich um ihn geschart haben, geben laute Widerworte. Na gut, sagt Häubl, dann eben doch zur serbischen Grenze.
Gleich hinter Dresden wird in den Bussen der Reiseproviant aus den Taschen geholt. Es riecht nach gekochten Eiern und Leberwurst. Das Neue Deutschland wird ausgepackt, über die Nato-Aggression und die gleichgeschalteten deutschen Medien geschimpft.
Und die Angst? „Die Angst kann gar nicht so groß sein wie meine Empörung darüber, plötzlich zu einem Land zu gehören, das einen Krieg angefangen hat“, sagt eine der Frauen, Karla Bendorf aus Grünau. „Und die Empörung über die Lügen. Die Lüge ist die Mutter aller Kriege.“
Mindestens zwei Drittel der rund 130 TeilnehmerInnen sind aus den neuen Bundesländern: betroffene Mütter, alte SED-Kader, PDS-Anhänger. Zwischen den Sitzreihen werden Verschwörungstheorien entworfen. Der Westen führe den Krieg, um seine Einflußsphäre zu erweitern, zusätzliche Absatzmärkte zu gewinnen und um neue Waffen auszuprobieren. Der Nato-Krieg sei nichts als ein Völkermord an den Serben und US-Präsident Bill Clinton ein Kriegsverbrecher.
Gegen Mitternacht ist es ruhig geworden. Der Konvoi fährt durch Tschechien und die Slowakei Richtung Ungarn. Als die Busse am nächsten Vormittag in Budapest ankommen, liegt noch immer kein Sammelvisum vor.
Ilona Rothe wird mit einer kleinen Delegation in der serbischen Botschaft, einer prunkvollen Villa am Platz der Helden, vorstellig. Üppige Kronleuchter hängen an den rosa, hellblau und weiß gestrichenen Stuckdecken. Zwischen Gemälden und antiken Möbeln wartet Botschafter Balsa Spadijer und sagt: „Ich bewundere Sie für Ihren Mut. Sie wissen, daß unser Land Opfer einer Aggression geworden ist.“ Die Frauen nicken. „Wir Mütter aus ganz Europa haben uns zusammengeschlossen“, referiert Ilona Rothe das Anliegen der Friedensmission. „Wir haben unsere Kinder nicht geboren, damit sie sich gegenseitig totschießen. Wir wollen nicht, daß unsere Söhne zu Mördern gemacht werden.“ Der Botschafter freut sich und sagt die Einreise nach Serbien zu. Die Mütter, von denen Rothe als einzige wirklich einen Sohn im Kriesengebiet hat, strahlen. „Und“, sagt der Botschafter, „ich möchte Ihre ganze Gruppe zu einem kleinen Empfang einladen.“
Während die Friedensmissionare verblüfft in das Gebäude hereinstolpern, werden Gebäck und Getränke aufgetischt. Die Botschaftsangestellte Bosa Prodanovic kommt ins Plaudern. „Mir tun die albanischen Frauen aus dem Kosovo wahnsinnig leid“, sagt sie, „sie kriegen sechs, sieben, acht, neun Kinder – wie die Maschinen.“Jetzt wird um Ruhe gebeten, denn Botschafter Spadijer möchte eine kleine Rede halten. Er prangert die „Aggression der Nato“ an, hebt hervor, daß Serbien friedliebend ist und man „mit Bomben keinen Frieden schaffen“ kann. Begeisterter Applaus. „Wir werden Ihnen allen ein Visum erteilen.“ Jubel. Um die Wartezeit auf die Visa zu verkürzen, regt Ilona Rothe an, ein Liedchen anzustimmen. „Sag mir, wo die Blumen sind“, ist alsbald vor der Botschaft zu hören. Und: „Alle Menschen werden Brüder.“ Die „netten jungen Leute mit den wilden Frisuren“, womit eine der Mütter die Autonomen meint, wenden sich erschrocken von der musikalischen Aufbereitung der Friedensmission ab und sind froh, als der Konvoi nach sieben Stunden endlich weiterfahren kann.
An der Grenze warten bereits serbische Busse und eine Polizeieskorte. Pablo Rondi, ein langjähriger Friedensaktivist aus Hamburg, verabschiedet sich. „Ich finde es falsch, über die Grenze zu gehen, sich in einen Bus von Miloevic nach Belgrad karren zu lassen und nichts zum Kosovo sagen zu dürfen“, sagt er, „außerdem sind die Organisatoren der Krisensituation nicht gewachsen.“ Das aber will niemand hören.
Bei Dunkelheit und strömendem Regen geht es nach Subotica, ein grenznahes Städtchen, wo die serbische Seite in einem staatlichen Hotel alles für die Übernachtung vorbereitet hat. Im Speisesaal warten dampfende Schüsseln mit Gulasch und Nudeln. „Wenn ich das zu Hause erzähle!“ sagt eine Frau gerührt.
In der Nacht hört man die Flieger über die Stadt hinwegdonnern, und morgens kurz nach sechs heulen die Sirenen los. Alle sind wach, wissen aber nicht, was der Lärm bedeutet. Bomben? Probealarm? Entwarnung? Auf den Ernstfall wurde die Gruppe nicht vorbereitet. Ilona Rothes Cheforganisator Lothar Häubl erklärt beim Frühstück nichts. Nur, daß er sich mit „unseren serbischen Freunden“ darauf verständigt hat, ein zerbombtes Haus in Subotica zu begutachten, bevor es nach Belgrad weitergeht.Vor den Trümmern mitten in einem Wohngebiet wartet ein altes Mütterchen im Regen, um mit den Gästen aus Deutschland zu sprechen. Dutzende von Fotoapparaten klicken: das zerstörte Heim von vorne, von der Seite, das in Mitleidenschaft gezogene Nachbarhaus, die zerborstenen Fenster in der Umgebung. Die Busse hupen, schnell noch mal auf den Auslöser drücken, dann geht's weiter.
Mit Blaulicht fährt das Polizeiauto vorneweg, der Konvoi hinterdrein. Vier Stunden über plattes Land. Keiner weiß, wie es in Belgrad weitergehen wird. Zuerst zum Partisanendenkmal, hoffen zwei DKPler aus Sachsen. Seit Tagen schleppen sie ein riesiges Nelkengesteck mit sich herum, das sie dort niederlegen wollen.
Die Busse halten an der Donaubrücke, auf der die Belgrader allnächtlich gegen die Bomben demonstrieren. Die serbischen Soldaten haben einen Hobbyfilmer entdeckt und verlangen die Herausgabe des Videobandes. Während des länglichen Palavers klebt Ilona Rothe den jungen Soldaten – „die haben mich so an meinen Sohn erinnert“ – Friedenstauben auf die Uniformen und drängt ihnen Bounty und Milky Way auf.
In der Innenstadt, die trotz des Ausnahmezustand alltäglich wirkt, winken Fußgänger. Der deutsche Konvoi wurde seit Tagen in den serbischen Medien angekündigt. Entsprechend viele Kamarateams haben sich vor dem Krankenhaus des Roten Kreuzes postiert, wo die Flüchtlingskommissarin und Vorsitzende des staatlichen Frauenvereins, Bratislawa Morina, wartet.
„Wir haben unsere Kinder nicht geboren, damit sie sich gegenseitig totschießen“, sagt Ilona Rothe. Wieder einmal. „Glauben Sie mir, daß ich auf Ihrer Seite bin“, versichert Morina. Und im übrigen sei Präsident Slobodan Miloevic, der in Gold gerahmt an der Wand hängt, „von unserem Volk gewählt. Das Volk liebt ihn.“ Rothe nickt verständnisvoll und entschuldigt sich für die Bomben auf Belgrad. Aber, sagt die Erfurterin dann nach einer Weile doch noch, die Kosovo-Albaner müßten zurückkommen dürfen. Das findet die Flüchtlingskommissarin auch. „Von serbischer Seite ist kein einziger Albaner gefährdet.“
Plötzlich ist eine aufgeregte Jungenstimme zu hören: „Das stimmt nicht! Die Kosovo-Albaner fliehen nicht vor den Nato-Bomben!“ Er wird niedergebrüllt. „Der gehört gar nicht zu uns!“ schreit eine Frau. Panik. Der Junge, ein 22jähriger Lehramtsstudent und Einzelgängertyp aus Jena, rennt zum Bus, schmeißt sich auf die Sitze. Die serbischen Sicherheitskräfte hinterher. Sie finden ein wimmerndes und heulendes Häuflein vor. Eine Ärztin wird gerufen. Die Serben lassen sich überzeugen, daß der Deutsche bloß durchgedreht ist.
Vor dem Krankenhaus steht Hannelore Arnold, die den Vorfall miterlebt hat, und wischt sich die Tränen aus den Augen. „Ich fühle mich so benutzt.“ Die Friedensbewegte aus Radebeul bei Dresden hatte sich nicht vorstellen können, wie schnell der Konvoi in die serbische Propagandamaschinerie eingefädelt werden würde. „Und als ich mitbekommen habe, mit welchen Leuten ich da im Bus sitze, habe ich gedacht, ich bin im falschen Film. Das sind dieselben Leute von damals. Sie haben es damals geschafft, die Friedensbewegung kaputtzumachen, und werden es auch heute schaffen.“
Nur wenige Meter von Hannelore Arnold entfernt steht inzwischen Cheforganisator Häubl mit einer jugoslawischen Journalistin. „Vor zehn Jahren hatten wir noch eine andere Armee“, blickt er mit Wehmut auf die glücklichen sozialistischen Tage zurück, „eine Armee, die sehr stark auf den Frieden ausgerichtet war.“ Was hingegen die Bundeswehr und ihre Verbündeten anrichten, dürfen die Deutschen auch in Belgrad wieder besichtigen. Zwei zerbombte Ministerien, Miliovics zerstörte Parteizentrale – hier darf sogar angehalten und fotografiert werden – und das rußschwarze Pressehaus in der Innenstadt, wo die Friedensaktivisten aussteigen und mit den Leuten reden können. „Alle Achtung, daß ihr es geschafft habt zu kommen“, sagt eine junge, in Deutschland aufgewachsene Studentin. „Ihr erlebt Belgrad in Trauer und Trotz.“
Es sind keineswegs nur Miloevic-Anhänger, die hier demonstrieren und auf die Deutschen zugehen. Am Rande der Demo ergeben sich viele Gespräche, auch das mit einer Aktivistin der Bewegung „Frauen in Schwarz“. „Wir sind alle wütend. Zehn Jahre lang haben wir kleine Schritte vorwärts gemacht, und jetzt ist alles vernichtet“, sagt die Feministin. Die serbische Opposition ist tot. „Manchmal kommt mir dieser Krieg wie ein Pakt mit Miloevic vor.“ Denn die Bomben treffen nicht nur physische Ziele, sondern auch den Glauben an die Demokratie. „Nach allem, was jetzt passiert, wissen wir nicht mehr, an welchem gesellschaftlichen Modell wir uns noch orientieren sollen.“ Ilona Rothe ist dazugekommen und möchte wissen, ob es wirklich stimmt, daß die Kosovo-Albaner vor den Nato-Bomben fliehen. Die Umstehenden verdrehen die Augen. Rothe ficht das nicht an. Wichtig ist, daß man mal miteinander geredet hat. Sie ist auf jeden Fall gerührt, bewegt, beeindruckt. So beeindruckt, daß sie in der Nacht mit den Belgradern auf der Donaubrücke stehen will. Aus Solidarität.
Doch daraus wird nichts. Die serbischen Sicherheitskräfte haben inzwischen begriffen, daß die deutsche Gruppe keineswegs so homogen ist, wie es schien, daß Querulanten und Provokateure dabei sind. Plötzlich heißt es, man könne für die Sicherheit des Konvois nicht mehr garantieren.Die Friedensbewegten, die noch bei Bohnensuppe in der Krankenhauskantine sitzen und Pläne für den Abend schmieden, werden wieder in die Busse getrieben. Ganz schnell soll es jetzt zurückgehen. Mit Blaulicht jagt der Polizeiwagen vor den Bussen über die Landstraße. Noch bevor es dunkel wird, finden sich 130 FriedenskämpferInnen auf der anderen Seite der Grenze wieder. Und die meisten glauben, wie Ilona Rothe, mit ihrer Reise „ein wichtiges Zeichen“ gesetzt zu haben.
„Wir haben unsere Kinder nicht geboren, damit sie sich gegenseitig totschießen. Wir wollen nicht, daß unsere Söhne zu Mördern werden.“
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