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Archiv-Artikel

Betreten und biegsam

Verzückend frei flottierender Assoziationsdrang: Monika Rincks Gedichtband „Verzückte Distanzen“

Endlich wieder ein Tapir-Gedicht: „tapire sind komplexe gesellen der sorgfalt.“ So funktionieren diese Texte. Scheinbar von leichter Hand fügen sich weit entfernte Wortfelder aneinander. Im Falle der Tapire wird die Distanz schnell überwunden durch das Szenario eines zoologischen Museums. Da freut man sich noch kurz über das Bedürfnis der Tiere, „höflichst zur paarung zu schreiten“. Und schon steht man vor „verdrahteten skeletten hinter der scheibe“ und wartet auf die „zweite lektion“: „heute erfahren die tiere von mir / was es heißt betreten / und dennoch biegsam zu sein.“

Die titelgebenden „Verzückten Distanzen“ sind eigentlich entrückte Perspektiven. Monika Rinck, geboren 1969 in Zweibrücken, derweil wohnhaft und arbeitend in Berlin, beherrscht diese kleinen großen Verschiebungen, die einem guten Gedicht die entscheidende Wendung geben. „trainingsziele“ heißt ein anderes, hebt an als eine Art pubertäres Protokoll diverser Liebschaften in einem Ruderverein, wechselt dann die Sportart sowie den Ort des Geschehens vom Wasser draußen ins Innere einer Mehrzweckhalle, „gehüllt in das künstliche gleiten blauer vereinskleidung“, und endet mit einer ziemlich abgebrühten Anspielung auf eines der Benn’schen Morgue-Gedichte: „ach. wie die blauen matten quietschten!“

Mit der letzten Zeile plötzlich wird der Text zu einem poetischen Drama, das sich in keiner der vorangegangenen auch nur angedeutet hätte. Zugleich eine Parabel auf die Bewegung vom Naiven ins Abgeklärte, niemals wieder Unbelastete des zwischenmenschlichen Verkehrs.

Gute Texte, eigentlich. Ein bisschen viel Beziehungskram und ein bisschen zu wenig von dem verzückend frei flottierenden Assoziationsdrang, der sich in manchen Gedichten Bahn bricht. Dafür aber schöne Motti von Cash und Cohen: „so he binds himself to the galloping mare / And she binds herself to the rider there“. Bei Rinck zündet dieses Motto in dem wunderbaren Eingangsvers „du bist mein pferd und rauchst genausoviel wie ich“. Wie sie dann aus diesem Cowboy-Setting den Dreh ins Astrale findet („raumfahrt“ heißt der Text) und zurück ins sehr Persönliche, ist schon ein Kunststück für sich.

Ein paar der längeren Gedichte sind eindeutig zu lang. Im Schlusstext „eidechs loverman“ beispielsweise steht die an sich schöne Findung, nach der „chitine mit der geschwindigkeit / der weisheit … neue schuppen / bilden müssen“. Abgesehen davon, dass es zumindest fraglich ist, ob Chitin bei der Panzerbildung von Reptilien eine Rolle spielt, fügt Frau Rinck ein „also äußerst langsam“ hinzu. Erläuterungen gehören einfach nicht in Gedichte. Die kürzeren aber sind, wie Oscar Wilde Zigaretten rauchte: ein perfektes Vergnügen, schnell vorbei, und sie hinterlassen dich unbefriedigt. NICOLAI KOBUS

Monika Rinck: „Verzückte Distanzen“. Verlag zu Klampen!, Springe 2004, 48 Seiten, 17 Euro