die stimme der kritik: Betr.: Neuer Markt
Die Hippster
Die dramatische Verjüngung unter den Führungskräften der deutschen Wirtschaft führt zu immer neuen Unsicherheiten. Besorgte Väter und Mütter zum Beispiel fragen sich dieser Tage, ob ihr Kind normal ist, obwohl es als einziges in seiner Krabbelgruppe noch keinen Businessplan aufgestellt hat. Inzwischen hat sich die Fachpresse des Themas angenommen. Eltern titelte auf seiner letzten Ausgabe „Wie wird mein Kind Millionär?“, und die übrigen Zeitschriften ziehen in diesem Monat nach. Sie versprechen Tipps zur Züchtung und Zurichtung von „Siegertypen“ und zeigen auf ihren Frontseiten Vier- und Fünfjährige, die eine auffallende Ähnlichkeit mit Bill Gates aufweisen. Auch die Wirtschaftsmagazine planen, so war aus gewöhnlich gut informierten Kreisen zu hören, eine Ausrichtung auf die neue Zielgruppe der Drei- bis Sechsjährigen. Und bisher unbestätigten Gerüchten zufolge plant der Münchener Burda Verlag den Relaunch seines Magazins Focus Money mit reduziertem Textteil auf einem Papier aus abwaschbarem und bissfestem Naturkautschuk.
Der interessanteste Side-Effect dieser Entwicklung konnte allerdings auf dem Lebensmittelmarkt beobachtet werden. Nachdem sich der gesellschaftliche Trend von „jung“ zu „ganz jung“ gefestigt hat, erlebt die klassische Babynahrung ein Comeback: Die Marketingexperten von Hipp ermittelten, dass neuerdings zehn Prozent der Produkte aus ihrer Herstellung von Haushalten gekauft werden, in denen es gar keine Kinder gibt. Die Reporter von dpa haben daraufhin sogar in einem Supermarkt eine bekennende kinderlose Hipp-Konsumentin aufgespürt. „Wenn ich in der Mittagspause, ein, zwei Gläschen Babybrei kaufe, denken alle: Mein Gott – so jung und schon Mutter“, sagt Nina, 17 Jahre. In diesem Punkt irrt sie allerdings. So alt und immer noch Zeit, eine Mittagspause zu machen – das ist es, was die anderen denken.
KOLJA MENSING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen