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Betr.: Foto-Seiten "Herren der Unterwelt"

Fünf Monate lebte Teun Voeten in New York im Tunnel, in einer Obdachlosenkolonie im unterirdischen Labyrinth von Manhattans Upper West Side. Im Winter 1994/1995 und im Sommer 1995 teilte der niederländische Fotograf und Anthropologe Freud und Leid der New Yorker „Tunnelmenschen“ in einer „Wohnung“ zwischen Ratten, Exkrementen, verrosteten Gleisanlagen und Wohlstandsmüll. Nur ab und an fuhr er hinüber nach Brooklyn in seine Wohnung, um Filme zu entwickeln und sich neue Fragen zu überlegen.

Dreißig Leute lebten zu dieser Zeit hier zwischen dem Riverside Park und dem Hudson River, unmittelbar neben den Gleisanlagen der Amtrak, einer der großen Eisenbahngesellschaften der USA: kubanische Flüchtlinge, Mörder, Aidskranke und Drogenabhängige, auch Weltverbesserer, Vegetarier, Computerfreaks und Vietnamveteranen. In der kilometerlangen Kellerwohnung zwischen Manhattans 72. und 95. Straße traf Teun Voeten auf Joe und seine Frau Kathy in ihrem Bunker mit Kühlschrank und TV, auf Poncho und Julio bei Kerzenlicht und offenem Feuer in „Little Havana“, auf Bernard und Tony, die Aludosen-Dealer vom Nordeingang.

Teun Voeten kam von oben, aber er überwand die Mauer des Mißtrauens – indem er blieb, mit den „Tunnelmenschen“ arbeitete, rauchte und soff. Und sich mit ihnen empörte gegen die geplante Räumung ihrer Bleibe durch Amtrak und die Stadt New York. Mit Einwilligung der „Tunnelmenschen“ hat Voeten ihre Lebensgeschichten aufgezeichnet, ihren Alltag notiert und fotografiert. Dabei herausgekommen ist ein Dutzend sensibler Porträts von nur scheinbar Gestrauchelten, die sich durchschlagen mit Essensmarken, Gelegenheitsjobs oder Crack.

„Obdachlos? Ich hab' hier mein Zuhause“, sagt Bernard, selbsternannter Lord of the Tunnel . „Hier ist die Küche, komplett eingerichtet mit Sachen von der Straße. Und wer da oben kann schon sagen, er hätte ein Wohnzimmer so lang wie 20 Blocks? Alles, was die up top haben, haben wir auch. Der Dreck? Na ja, die Müllabfuhr kommt nur unregelmäßig.“

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