Besuch in einem Waffle House: Eingeladen im echten Amerika
Ich war in einem Waffle House in North Carolina, um das Land und die Leute vor Ort kennen zu lernen. Ich wurde reich beschenkt.
M anchmal wird man mit Geschenken überhäuft. Oft passiert das plötzlich und an unerwarteten Orten. North Carolina. Das Davidson College hat mich eingeladen, hier meinen Film „Die Ecke“ zu zeigen. Ich habe ihn an einer Straßenecke in Thüringen gedreht. Und auf erstaunliche Weise hat mich der Film nun von dort über den Atlantik in den Osten der USA gebracht.
„Wenn du in North Carolina bist, musst du unbedingt in ein Waffle House gehen“, hatte mir eine Freundin in Hamburg gesagt. In den Waffle Houses seien die Locals, dort lerne man das echte Amerika kennen. Als mich am letzten Abend ein paar Studierende auf Einladung des Colleges in ein gutes Restaurant in Davidson ausführen sollen, frage ich, ob wir nicht lieber in ein Waffle House gehen können.
Die Studierenden sind begeistert. Zu viert fahren wir los, Richtung Großstadt Charlotte. Die Straße liegt vor uns im goldenen Abendlicht. Irgendwann sehen wir am Rand der Straße das Waffle-House-Zeichen, schwarze Lettern auf gelbem Grund.
Waffle Houses gibt es überall in Amerika, sie haben rund um die Uhr geöffnet. Immer. Sie sind eine Art Späti der Vereinigten Staaten. Der Ort, der Betrunkene um drei Uhr morgens aufnimmt, wo Frühaufsteher und Truckerfahrer Waffeln oder gebratene Eier und Burger essen können. Es gibt sogar einen sogenannten Waffle-House-Index. Demnach wird die Stärke von Sturmschäden daran gemessen, in welchem Zustand die jeweiligen Waffle-House-Fillialen sind. Wenn nach einem Tornado ein Waffle House schließt, ist Alarmstufe Rot. Dann ist wirklich Krise.
Drinnen ist das Waffle House simpel eingerichtet. Ein silberner Tresen, nah an den Bratstellen, an denen zwei schwere Männer Burger umdrehen. Es gibt Tischnischen mit Plastikbänken.
Ein anachronistisch anmutendes Inventar, das an die Bilder von Edward Hopper erinnert. Wir lassen uns auf Bänke nah an den Waffeleisen nieder und erzählen dem Mitarbeiter, dass zwei von uns das erste Mal in einem Waffle House sind. Er schweigt und reicht uns lächelnd gelb-schwarze Papiermützen, auf denen Waffle House steht.
Die erste Waffel gibt er uns für umsonst: Aus dickem Teig mit viel Erdnussbutter, die wir uns teilen. Wir lesen in der Karte. Es ist alles günstig, fast nur Fleisch. Wir bestellen. Wir setzen die Hüte auf und lachen, der Ausflug ins Waffle House stimmt uns auf unbestimmte Weise ausgelassen.
Dann betritt eine Mutter mit einem kleinen Jungen den Laden und bestellt am Tresen. Der Junge ist neugierig, er kommt auf uns zu, bewegt sich unkoordiniert. Er erklärt, dass er Geburtstag habe, dass ihm seine Mutter deswegen etwas kaufen werde. Seine Stimme ist verwaschen und unverständlich. „Du hast heute Geburtstag?“, fragen wir. Er nickt und strahlt.
„Wo er hingeht, schließt er Freundschaft“, sagt die Mutter und lächelt. Sie erzählt uns, dass sie aus Puerto Rico sei. An ihren Händen und Beinen sind überall weiße Farbsprengsel. „Haben Sie gemalt?“, frage ich. „Ja, ich habe den ganzen Vormittag ein Haus gestrichen.“ Sie habe eine Firma, mache alles. Malerarbeiten, Reinigung. Sie lächelt.
Wir machen zusammen mit ihr und ihrem Sohn Fotos. Der Junge umarmt uns alle dabei. Als sie mit ihrem Sohn den Laden verlässt, sagt die Mutter zu uns: „Er hat euch eingeladen“, und zeigt auf den Jungen.
„Was?“ Ja. Die Mutter hat unsere Rechnung beglichen, unsere vier Gerichte und Getränke.
„Nein, nein“, sagen wir. „Unser Essen ist gedeckt. Es wird vom College gezahlt.“
„Doch.“ Sie lächelt. „Ihr seid eingeladen.“
Später schenkt mir der Mitarbeiter noch eine Tasse. Wir können es nicht fassen. Alles haben wir geschenkt bekommen.
Wir beschließen, die 35 Dollar, die unser Essen gekostet hätte, dem Mitarbeiter als Trinkgeld zu geben. Als wir das Waffle House verlassen, geht die Sonne im satten Rot unter, wie ein Abbild dieses großzügigen Abends. Bis in die Nacht hinein tragen wir noch unsere Papierhüte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!