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Beschwerdetelefon gegen PartylärmRuhig mal anrufen

Der Partybezirk Friedrichshain-Kreuzberg will für lärmgeplagte Bewohner seiner Feierkieze eine zentrale Beschwerdestelle einrichten.

Pantomime gegen Partylärm – leider ist das Projekt inzwischen wieder eingeschlafen. Foto: dpa

Grölende Betrunkene auf der Straße, Scherben auf den Bürgersteigen, Urinpfützen in den Hauseingängen: In den als Partymeilen angesagten Kiezen haben die Anwohner zumeist das Nachsehen. Die Probleme sind nicht neu, aber die Klagen häufen sich. Und erst richtig zum Ärger wird der Ärger, wenn die Beschwerden im Sande verlaufen, weil sich Polizei, Umwelt- und Ordnungsämter die Zuständigkeiten hin und her schieben. Das soll sich nun ändern.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg will im Bezirk eine zentrale Anlaufstelle für Beschwerden aller Art schaffen. Wie Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) mitteilte, erging der entsprechende Beschluss vergangene Woche auf der Sitzung des Bezirksamts. Das Konzept werde derzeit erarbeitet, im Herbst soll es umgesetzt werden. Eingehende Mails und Anrufe würden von Mitarbeitern der Beschwerdestelle an die zuständigen Abteilungen weitergeleitet. Die treten dann mit den Bürgern in Kontakt. „Die Mitarbeiter der Beschwerdestelle haben darauf zu achten, dass zeitnah Abhilfe geschaffen wird“, so Herrmann zur taz. Auch mit Polizei und Ordnungsamt wolle sie noch mal die Zuständigkeiten klären. Zurzeit hätten viele Anwohner das Gefühl, „ständig hin und her geschickt zu werden“.

Ob nun Wrangel-, Graefe- oder der Simon-Dach-Straßen-Kiez – „vor allem der Lärm in der Nacht wird als störend empfunden“, sagt Peter Beckers. Der SPD-Wirtschaftsstadtrat ist für die Gaststättenkonzensionen und die Ordnungsämter zuständig. „Wir bekommen mehr Beschwerden als früher.“ Keineswegs seien es nur Touristen, die es zum Feiern nach Friedrichshain und Kreuzberg ziehe, sondern auch die Berliner.

Restaurants, Bars, Clubs und Spätis gibt es in Friedrichshain-Kreuzberg mehr als genug. 2004 hatte der Bezirk relativ großzügig Genehmigungen für Außenausschank und Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes erteilt. „Wir hatten damals viel Leerstand, die Wirtschaft florierte nicht“, erklärt Beckers. Seit 2012 versuche man die Auswüchse „langsam, aber sicher“ bei der Neubeantragung von Konzessionen zurückzufahren, sagt Beckers.

Lärmprotokoll reicht nicht

Aber den Geist wieder in die Flasche zurückzubekommen gestaltet sich schwierig. Beckers beschreibt das so: Man wälzt sich schlaflos im Bett, weil der Wirt unten im Haus die Anlage so weit aufgedreht hat. Oder weil die Gäste im Vorgarten so laut lachen. Man sucht das Gespräch mit dem Kneipeninhaber. Ein paar Nächte ist es besser, aber dann geht es wieder los. „Das ist der Zeitpunkt, an dem Leute beim Ordnungsamt anrufen“, sagt der Stadtrat. „Viele denken, es reicht, wenn sie Lärmprotokolle geschrieben haben, aber das ist ein großer Irrtum.“ In der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr ist die Polizei für Lärmbeschwerden zuständig. Aber wenn der Bürger die Polizei in der Nacht nicht ruft, um Anzeige zu erstatten, könne das Ordnungsamt am nächsten Tag keine Maßnahmen einleiten, erklärt Beckers. Die Sanktionspalette reicht vom Erlassen eines Bußgeldbescheids über die Erteilung von Auflagen bis zum Entzug der Konzession.

464 Mal haben Kreuzberger und Friedrichshainer in den letzten eineinhalb Jahren nachts bei der Polizei Anzeige wegen Lärmbelästigung erstattet. Auf den ersten Blick erscheint das viel. Nur in Mitte war die Zahl mit 525 Anzeigen höher. In Wirklichkeit, sagt Beckers, sei das nur die Spitze vom Eisberg. „Die Friedrichshainer und Kreuzberger rufen die Polizei meistens nicht.“ Animositäten und schlechte Erfahrungen mit der Polizei vermutet er als Grund.

Dass straßenkampferprobte Altkreuzberger um Uniformträger lieber einen Bogen machen, ist bekannt. Aber Neuzuzügler? „Die Menschen hier gehören eher nicht zu den Leuten, die ein Obrigkeitsdenken haben“, sagt Beckers. Nils Grube von lokal.leben, einem Netzwerk für sozialen Zusammenhalt und Bürgerengagement in Friedrichshain-Kreuzberg, formuliert es so: „Die Leute haben ein Ruheproblem, aber sie wollen nicht wie Spießer wirken.“ Statt an die Polizei wende sich der Kreuzberger eher an die politisch Verantwortlichen. Oder: „Er regelt die Dinge selbst und im Miteinander.“

Genau hier setzt lokal.leben ein. Das Projekt wird von Wirtschaftsstadtrat Beckers unterstützt. Grube und seine Kollegen und Kolleginnen verstehen sich als Mediatoren, die bei der Moderation von Konflikten eher auf Seiten der Anwohner stehen: „Wir holen Anwohner, Gastronomen und Hostelbetreiber an einen Tisch und suchen nach dialogorientierten Lösungen“, erklärt Grube. Viel gewonnen sei, wenn ein Späti zum Beispiel von sich aus darauf verzichte, vor seinem Geschäft Stühle und Tische aufzustellen.

Pantomimen in der Nacht

Fair.kiez nennt sich ein Projekt, das im Frühsommer in den In-Kiezen viel Beachtung fand. Zwischen Mitternacht und Morgengrauen mischten sich im Simon-Dach-Kiez Pantomimen unter die Feiernden. Die Message: Es gibt auch noch Menschen, die nachts schlafen, nehmt Rücksicht. Der künstlerische Einsatz ist Teil eines EU-Projekts. 21 europäische Städte mit nächtlichen Lärm- und Müllproblemen, darunter Paris, Amsterdam und Barcelona, werden untersucht.

Das Projekt in Berlin wurde Mitte Juli beendet. Eine Auswertung sei noch nicht erfolgt, sagt Stadtrat Beckers. Er habe die unterschiedlichsten Reaktionen auf die Pantomimen gehört, von „super“ über „blöd“ bis zu „gleich die Polizei holen“. Er selbst favorisiere Strategien wie die von lokal.leben, verrät Beckers: dass Lärmgeplagte und Gastronomen private Vereinbarungen treffen. Helfe das nicht, seien Bußgelder und lärmmindernde Auflagen aber richtig.

Die Admiralbrücke in Kreuzberg zeigt: Ganz ohne Polizei geht es wohl nicht. Jeden Abend um 22 Uhr fährt dort ein Streifenwagen mit zwei Beamten auf. Für die Feiernden ist das das Signal, die beliebte Brücke zu verlassen. Seit 2011 ist das so. Mediationsveranstaltungen haben bewirkt, dass das Partyvolk das Ruhebedürfnis der Anwohner und den kleinen Wink mit dem Streifenwagen akzeptieren. „Andernfallls bräuchte man jeden Abend eine Hundertschaft, um die Brücke zu räumen“, ist sich Beckers sicher.

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