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Bescheidenes Leben

Selbst bei Arbeitern des südkoreanischen Konzerns Daewoo wächst die Angst vor Arbeitslosigkeit  ■ Aus Inchon Georg Blume

Die Industriemetropole Inchon am Gelben Meer ist Süd-Koreas fünftgrößte Stadt. Doch im Gewühl der Fabrik- und Hafenanlagen erinnert hier wenig an den Großstadtluxus in der Hauptstadt Seoul. Ausländische Markennamen scheint es in Inchon nicht zu geben: Nach McDonald's- und Mercedes-Reklame sucht man vergebens. Koreas Wirtschaft, die längst keine Wunder mehr vollbringt, steht und wackelt in Inchon auf eigenen Beinen.

Das viertgrößte koreanische Industriekonglomerat Daewoo hat in der Stadt die vielleicht modernste Autofabrik des Landes errichtet. Unweit der Fabriktore haust die Arbeiterschaft in firmeneigenen Apartmentblöcken: kleine Zweizimmerwohnungen für junge Daewoo-Familien. Ihre Zukunft schien bisher gesichert. Entlassungen hat es bei Daewoo noch nie gegeben. Wer länger im Konzern arbeitet, besitzt meist eine Eigentumswohnung.

Kim Bok Rae (32) macht sich trotzdem Sorgen. „Wir führen ein bescheidenes Leben. Jetzt müssen wir auch noch die Arbeitslosigkeit fürchten.“ Während Mutter Kim ihr zehn Monate altes Baby spazierenträgt, absolviert ihr Mann die Frühschicht. Mit Überstunden, die bisher das Jahresgehalt von 20 Millionen Won aufbesserten, ist es jetzt vorbei. Umgerechnet verdient ihr Mann gerade noch 20.000 Mark im Jahr. Vor ein paar Wochen waren es noch 40.000 Mark. „Unser Land hat sich zu schnell entwickelt. Jetzt geht alles genauso schnell bergab“, fürchtet Kim.

Wie alle südkoreanischen Großkonzerne hat auch Daewoo fürs kommende Jahr Sparmaßnahmen und Stellenabbau angekündigt. Zunächst wollte Firmengründer Kim Woo Jung nicht wahrhaben, was ihm die Finanzexperten des eigenen Hauses zu erklären versuchten. „Kim wollte anstelle der Regierung handeln und sich die Bedingungen, unter denen er Kredite aufnahm, nicht vom Internationalen Währungsfonds (IWF) diktieren lassen“, erklärt Yoo Tae Hou, Direktor des Daewoo-Forschungsinstituts in Seoul. Der renommierte Ökonom kann es sich als der wenigen Mitarbeiter im Riesenkonzern leisten, den eigenen Chef zu kritisieren. Er selbst habe Kim dann klarmachen müssen, daß es so wie früher nicht mehr gehe. „Alle koreanischen Großbetriebe sind in Schwierigkeiten. Alle haben zuviel Schulden“, stellt Yoo bitter fest. „Und kein Unternehmen ist auf die Marktöffnung vorbereitet, die der IWF heute von uns verlangt.“

Das hört sich von Regierungsseite ganz anders an. Kaum hatte sich der Börsenindex in Seoul am Samstag und Montag etwas erholt, da meldete sich Finanz- und Wirtschaftsminister Lim Chang Yuel zu Wort, um den Land zu verkünden, daß das Schlimmste bereits vorüber sei. „Da die Regierung die Bedingungen des IWF buchstabengetreu erfüllt, werden der Fonds und seine wichtigsten Mitgliedsstaaten uns mit aller Kraft unterstützen“, wiegelte Lim den Verdacht ab, Süd-Korea stehe trotz IWF-Hilfe vor der Zahlungsunfähigkeit. Doch der Richtungswechsel kam etwas zu schnell, um glaubhaft zu sein.

Noch vor zwei Wochen stand Seoul kurz vor dem Bankrott. Die Währungsreserven des Landes waren auf zehn Milliarden Dollar gesunken, nicht genug, um bis Silvester kurzfristige Kredite in der Höhe von 21 Milliarden Dollar zurückzuzahlen. Mit anderen Worten: Der IWF war der Retter in der Not. Wie lange die Milliarden aus Washington ausreichen, um Seoul vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, steht dahin.

Wenn selbst Großkonzerne wie Daewoo in die Krise rutschen und über keine eigenen Kapitalreserven verfügen, wenn zudem die Großbanken des Landes nur mit einer Finanzspritze der Zentralbank in der Höhe von 11,3 Billionen Won (ca. 11 Milliarden Mark) derzeit ihre Zahlungsfähigkeit erhalten können, dann ist die Gefahr der nationalen Pleite nicht einfach aus der Welt zu schaffen.

Zumal die Regierungen in Washington und Tokio am Wochenende erklärt haben, daß an weitere Zahlungen des IWF nicht zu denken ist, solange das Parlament in Seoul nicht die vereinbarten Reformen verabschiedet hat.

In einer Sondersitzung soll die südkoreanische Nationalversammlung kommende Woche jene Gesetze verabschieden, die sie noch vor einem Monat entschieden abgelehnt hat. Dazu zählt ein neues Gesetz, daß ausländische feindliche Übernahmen koreanischer Unternehmen ermöglicht. Eine andere Maßnahme soll die Großkonzerne des Landes zu einer transparenteren Finanzbuchhaltung zwingen. Auch Daewoo wäre davon betroffen.

Über die Manöver zwischen Seoul und Washington, die derzeit auch die Existenz ihrer Firma gefährden, wissen die Arbeiter in Inchon wenig. „Daewoo ist stark genug. Nach den Präsidentschaftswahlen am Donnertag wird alles besser“, tröstet sich Kim Bok Rae.

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