: „Beschädigen der Mauer verboten!“
■ 28 Jahre kam die PGH Innenausbau direkt an der Berliner Mauer gut mit den Grenzern aus / 200 Meter Mauerreste schützen das Betriebsgelände / Graue Tarnfarbe soll Mauerspechte fernhalten
Von Annette Zimmermann
Drei, fünf oder zehn Mark je nach Größe kostet ein farbig besprühtes Stück der Berliner Mauer - mit Echtheitszertifikat. Nach wie vor machen die Touristen die Arbeit der „Mauerspechte“ zum einträglichen Geschäft, ganze Segmente des Jahrhundert-Bauwerks sind nach Paris, New York und sogar in Japan verkauft. An der Zimmerstraße in der Nähe des Checkpoint Charly in Berlin, 1961 zum Todesstreifen gemacht, ist der Mauerabriß allerdings jetzt gestoppt: Auf einer Strecke von zweihundert Metern ist die Mauer mit frischer Farbe restauriert und durch Reklame-Tafeln gegen die Mauerspechte geschützt. Hier residiert die Produktionsgenossenschaft (PGH) Innenausbau. Die Mauer ist die Grenze des Betriebsgeländes. „Wir haben uns ja dran gewöhnt, schließlich haben wir 28 Jahre hier gearbeitet. Uns stört das nicht als Betriebsmauer“, meint PHG-Chef Reckwardt. „Mit weißer Farbe angemalt, wird keiner merken, daß das die Mauer ist.“
Dort, wo das Betriebsgelände in die gute alte DDR hineinragt, da hat die PGH ihre Betriebsmauer durch ein Stück Original-Mauer ergänzen können: Etwa 20 Mauersegmente, die an der Lindenstraße, wenige hundert Meter weiter, Republikflüchtlinge aufhalten sollten, wurden für die PGH neu aufgestellt und dienen nun als Betriebsmauer. „Warum habt ihr das gemacht“, hatte jemand in der Lindenstraße an den Beton gesprüht. Auf drei versetzten Mauer-Segmenten ist der Graffiti an der PGH nun wieder erkennbar. An der neuen „Mauer“ prangt ein Schild: „Betriebsgelände / Beschädigen der Mauer verboten!“
Die PGH Innenausbau existiert seit 30 Jahren. Als in der Nacht zum 13.August 1961 die Mauer gebaut wurde, nutzte die PHG ihre Chance zur Vergrößerung ihres Geländes: sechs Gebäude, in die niemand mehr einziehen durfte, konnte sie als Betriebsgelände hinzugewinnen. Die Grenzer waren zufrieden mit der PGH, „solange wir das Gelände sauber und Übersichtlich gehalten haben“, erklärt der Vorsitzende der PGH, Reckwardt. „Wir durften halt keine Leitern offen 'rumstehen lassen und mußten Fenster und Türen abschließen, dann hatten wir auch keinen Ärger mit denen.“ Da die PGH den benötigten Lagerschuppen nicht an der Mauer bauen durfte, erhielten sie die Erlaubnis, das Stück der Wilhelm-Külz -Straße, das an der Mauer tot endet, als Lager zu benutzen.
Als am 22.Juni ausgerechnet hier in Anwesenheit von Lothar de Maiziere und Walter Momper ein Durchgang geschaffen werden sollte, stand die Polit-Prominenz plötzlich auf dem Gelände der PGH. Der Koordinierungsausschuß des Magistrats und des Senats hatten glatt das Lager mit dem Schuppen mitten auf der ehemaligen Straße vergessen. So blieb es erst einmal bei dem symbolischen Akt, eine Mauerplatte umzukippen.
„Den Schuppen haben sie uns zum Zeitwert erstattet und dann hat der Hauptauftraggeber Verkehrsbau beim Magistrat die Mauer gestellt, damit das Gelände provisorisch dicht ist“, erklärt Reckwardt. Allerdings ist er nicht ganz zufrieden mit seiner neuen Mauer: „Wir wollten ein unbeschädigtes Stück Mauer, denn wo einer schon gepickt hat, wird ja immer weiter gepickt!“, beschwert sich der Vorsitzende. „Jeder nimmt sich zu viele Freiheiten heraus, man sollte doch das Eigentum von anderen achten!“ Gegen die Touristen hat sich die PGH was überlegt: „Die Seite zum Streifen hin haben wir extra grau angemalt. Weiß anstreichen nützt ja nichts, weiße Wände ziehen magisch Leute an, die den Tag über nicht gearbeitet haben und dann alles vollschmieren!“ entrüstet sich der PGH-Chef. Die PGH wird sich auch der Marktwirtschaft anpassen und eine GmbH werden: „Wenn wir die 30 Jahre geschafft haben, schaffen wir das jetzt auch spielend.“ Nur die Mauerspechte lassen ihm keine Ruhe: „Wenn die Reiseleiter darauf hinweisen würden, daß das hier Betriebsgelände ist, hilft das bestimmt!“
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