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Berufsethos Die Bremer Erzieherin Kathrin Effenberger über Anspruch und Wirklichkeit im Kita-Alltag„Wir haben die Kinder unterschätzt“

Kampf gegen den Stress: Erzieherinnen demonstrieren für bessere Arbeitsbedingungen, Köln 2009 Foto: Achim Scheidemann/dpa

Interview Eiken Bruhn

taz: Frau Effenberger, warum haben Sie Erziehungswissenschaften studiert? Wollten Sie Ihren Job an den Nagel hängen?

Kathrin Effenberger: Nein, ich bin sehr gerne Erzieherin, aber ich wollte einfach mehr wissen.

Aber Sie hatten doch eine Ausbildung gemacht, die für den Beruf qualifiziert.

Mir persönlich war das zu wenig. Es hat ja einen Grund, warum der Beruf in anderen Ländern ein Studium voraussetzt.

Würde das nicht viele ausschließen, die gut mit Kindern umgehen können?

Stimmt, es müssen nicht alle studiert haben, vielleicht pro Gruppe eine Erzieherin, das wäre gut. In dem Kindergarten, in dem ich arbeite, haben alle mindestens eine Zusatzqualifikation.

Das, was angehende Erzieherinnen auf der Fachschule lernen, reicht nicht?

Ich finde nicht. Wenn die jungen Kollegen und Kolleginnen von der Fachschule kommen, sind da ganz tolle engagierte Leute dabei, aber ich merke, dass oft das Hintergrundwissen fehlt. Sie wissen häufig nicht, warum sie etwas in einer bestimmten Weise tun.

Haben Sie ein Beispiel?

Um die Entwicklung der Kinder dokumentieren zu können, ist im Rahmenbildungsplan eine Beobachtungsmethode vorgesehen, die ich sehr gut finde, weil sie sehr wertschätzend ist. Die wird in der Ausbildung gelehrt. Aber sie ist nicht für alle Fragestellungen geeignet. Es gibt noch andere Verfahren, die man wenigstens kennen sollte, um einschätzen zu können, ob man mit ihnen weiterkommt.

Rahmenbildungsplan – so etwas gab es noch nicht, als Sie angefangen haben, oder?

Nein, den gibt es erst seit 2004. Seitdem heißt das auch erst frühkindliche Bildung.

Und davor?

Betreuung.

Warum hat es diesen Wechsel gegeben?

Ich denke, das ist die Anerkennung dessen, dass auch Kinder im Kindergartenalter unheimlich viel lernen und lernen wollen. Und grundsätzlich hat der Bildungsbegriff einen höheren Stellenwert bekommen. Das war eine Folge des Pisa-Schocks 2001.

Dann haben sich die Kinder früher, als sie nur betreut und nicht gebildet wurden, gelangweilt?

Bei uns nicht, nein. Wir haben ihnen damals schon viele Angebote gemacht. Aber ich glaube, dass wir sie unterschätzt haben.

Inwiefern?

Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, was Kinder schon für Interesse an Mathematik entwickeln können – wenn man Mathematik als die Lehre von Mustern versteht.

Besteht nicht die Gefahr, den Kindergarten zu verschulen?

Wir machen keinen Schulunterricht, wo alle zur selben Zeit eine bestimmte Aufgabe bekommen. Wir geben Impulse und das eine Kind greift den vielleicht sofort auf und ein anderes in sechs Monaten oder gar nicht.

In vielen Arbeitsfeldern, die mit Menschen zu tun haben, ist Supervision vorgeschrieben, um sich über die eigene Haltung bewusst zu werden. Wie ist das bei Ihnen?

Externe Supervision ist nicht vorgeschrieben, aber wir haben Vorbereitungs- und Planungszeiten, wo wir im Team die Arbeit reflektieren können. Es gibt aber keinen Standard, wie die zu nutzen sind. Die kann man auch mit Basteln verbringen.

Wie viel Zeit haben Sie dafür?

Drei Stunden pro Woche.

Das klingt nach viel.

Uns ist es immer zu wenig. Das ist die einzige Zeit, die wir dafür haben, um den Gruppenraum gründlich sauber zu machen, Spielzeug zu reparieren, Elterngespräche zu führen, besondere Projekte zu planen, sich über Fortbildungen auszutauschen und über einzelne Kinder zu sprechen, damit keins durchrutscht. Dazu gehören bei uns auch die Gespräche mit den Therapeuten der Kinder mit besonderem Förderbedarf.

Wie viele Stunden wären gut?

Das kann ich so pauschal nicht sagen. Wir konnten früher auch immer viel in den Ferien erledigen, aber es werden immer mehr Kinder zum Feriendienst angemeldet. Früher war das nur eine Gruppe, jetzt sind es drei von vier und alle voll besetzt. Wir hätten deshalb gerne einen oder zwei Tage im Jahr zusätzliche Schließzeit, damit wir auch mal wieder im gesamten Team miteinander sprechen können.

Wofür wäre das wichtig?

Es gibt immer Themen, die alle angehen. Wir haben zum Beispiel sehr viele Kinder, auch sehr junge, die sehr viel fernsehen und das Gesehene im Kindergarten nachspielen, das ist ja auch eine Form der Verarbeitung. Ich würde gerne mal einen gemeinsamen Umgang damit finden.

Woran scheitert es, zwei zusätzliche Tage zu schließen?

Viele Eltern sagen, das ginge nicht. Sie sind froh um jeden Tag, den sie das Kind zu uns bringen können.

War das früher anders?

Ja, als ich angefangen habe, hatten wir noch Gruppen, wo die Kinder vor dem Mittagessen um 12 Uhr abgeholt wurden. Jetzt haben wir noch eine Gruppe, in der Kinder um eins abgeholt werden, aber das sind immer nur ganz wenige.

Weil die Eltern berufstätig sind?

Ja. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass einige froh sind, wenn die Kinder möglichst lange aus dem Haus sind. Und andere wünschen sich, glaube ich, mehr Zeit mit ihren Kindern und versuchen, die wenige Zeit, die sie zusammen haben, möglichst ohne Konflikte zu verbringen und sagen selten Nein, um keinen Streit zu riskieren.

Sprechen Sie das an?

Wir sagen den Eltern manchmal, dass sie den Kindern nicht alle Steine aus dem Weg räumen müssen und sie ihre Konflikte mit anderen Kindern auch selbst austragen dürfen. Daran wachsen sie.

Kathrin Effenberger

50, machtenach dem Abitur zunächst eine Ausbildung als Bäckereifachverkäuferin, ist seit 1997 staatlich anerkannte Erzieherin und schloss 2010 ihren Magister in Erziehungswissenschaften ab.

Seit 20 Jahren arbeitet sie in der evangelischen Kindertagesstätte St. Johannes in Arsten, einem Stadtteil am Rand Bremens mit kleinstädtischer Struktur, geprägt von Reihen- und Einfamilienhäusern.

Der Kindergarten wurde 1993 eröffnet und nimmt seitdem auch Kinder mit besonderem Förderbedarf auf, darunter solche mit schweren Behinderungen.

Und fühlen Sie den anderen auf den Zahn, ob sie wirklich so viel arbeiten müssen?

Nein, ich möchte nicht in eine Kontrollrolle kommen. Wir fragen aber schon manchmal nach, wenn die neuen Kinder gleich in den ersten Wochen schon acht oder neun Stunden bleiben, ob die Eltern die Möglichkeit haben, sie für eine Übergangszeit früher abzuholen. Meistens geht das aber nicht.

Wäre es für manche Kinder besser, ganz zu Hause zu bleiben?

Nein, ich glaube, dass sich bei uns alle wohl fühlen. Manchmal müssen wir gucken, wie wir uns noch besser auf ein Kind einstellen können, müssen vielleicht auch mal eine Tagesstruktur verändern. Wenn ich den Eindruck hätte, dass es den Kindern nicht gut ginge, könnte ich meinen Beruf nicht ausüben.

Aber?

Aber die Rahmenbedingungen könnten besser sein. In Bremen müssen ja schon die Zweieinhalbjährigen in den Kindergarten wechseln …

… das heißt, dort sind sie mit 20 Kindern und zwei Erzieherinnen in einer Gruppe.

Bei uns sind es immer mindestens zwei, weil wir inklusiv arbeiten, aber in anderen Häusern ist eine Erzieherin stundenweise auch mal alleine. Die großen Gruppen sind für die Kleinen oft eine Überforderung. Auch für manche Dreijährige übrigens. Und für uns heißt das, dass wir entschleunigen müssen – das ist ein Spagat, weil wir auch den Älteren, die mehr „Futter“ brauchen, gerecht werden wollen.

Was heißt entschleunigen?

Wir sagen immer, dass wir in der Krippe, also bei den unter Dreijährigen, hinter den Kindern herlaufen. Und von den Älteren erwarten wir, dass sie hinter uns herlaufen. Anders ginge es bei unserem Personalschlüssel auch gar nicht, ich kann nicht hinter zehn Kindern herlaufen. Aber wenn sich ein zweijähriges Kind fürs Draußenspielen anzieht, dann braucht es eine Person, die sich mit Ruhe und Hingabe vor das Kind setzt und hier mal einen Ärmel festhält und da mal einen Schuh zubindet. Wenn wir vier, fünf solcher Krippenkinder in der Gruppe haben, dann können wir einige Sachen einfach nicht mehr machen.Wären 20 Kinder sonst eine gute Größe?

Nein, die Zahl ist ja auch nicht pädagogisch begründet. Als ich angefangen habe, waren es nur 16 Kinder. Das ist für alle entspannter, einfach schon, weil es leiser ist und alle mehr Platz haben. Und als Erzieherin habe ich mehr Zeit für jedes einzelne Kind, zum Reden, Zuhören, Beobachten.

Jetzt werden es wahrscheinlich 21 oder 22 Kinder, weil in Bremen so viele Plätze fehlen. Macht das noch einen großen Unterschied?

Ja, das sind zehn Prozent mehr und wir sind jetzt schon an der Grenze.

Sie sind seit 20 Jahren im selben Kindergarten. Wollten Sie nie woanders arbeiten?

Ich denke manchmal, dass ich gerne ein paar Jahre Erfahrung in einer Kita in einem Brennpunkt-Stadtteil hätte, einfach weil das auch ein Teil unserer Gesellschaft ist, den ich nur vom Hörensagen kenne. Aber ansonsten habe ich das Glück, in einem sehr guten Kindergarten mit hohen Ansprüchen an die eigene Arbeit zu arbeiten. Ich habe mich nie gelangweilt, es war nie eingleisig, wo jeder Tag den gleichen Trott bringt. Und wir haben ein gutes Team, in dem wir uns unterstützen. Ich bin zum Beispiel eher ängstlich, wenn die Kinder turnen oder klettern und kann deshalb nicht die Sicherheit ausstrahlen, die sie brauchen. Meine Kollegin ist deutlich entspannter und ich kann sie bitten, sich an den Kasten beim Turnen zu stellen, wo sich die Kinder runterstürzen und ich nicht hingucken kann.

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