piwik no script img

Beruf Sea RangerDer Herr der Heringe

Martin Saager ist Küstenfischer in Wismar. Jetzt drückt er wieder die Schulbank, um sich zum „Förster der Meere“ ausbilden zu lassen.

Fischen und Forschen: Martin Saager beim Einholen seiner Heringsnetze in der Wismarer Bucht Foto: Frank Hormann/nordlicht

Wismartaz | An einem grauen Donnerstag im März steht der Küstenfischer Martin Saager auf seinem Kutter, einige Kilometer vor dem Hafen von Wismar. Vorgestern hatte er 12 Heringe im Netz, sein Kollege an diesem Morgen nur zwei. „Aber ein Küstenfischer“, sagt Martin Saager, „hat immer Hoffnung.“ Die hydraulische Kurbel zieht Zentimeter für Zentimeter das Stellnetz aus dem Wasser.

Eine Feuerqualle rutscht in die Kiste. Dann eine winzige Scholle, halb so dünn wie eine Kinderhand. Sie darf zurück ins Meer. Weil sie so wenig Futter finden, sind die Schollen unbrauchbar klein. Die Kurbel hält an, das Netz ist an Bord – und leer. „Kein einziger Hering, das ist ja der Wahnsinn“, sagt Saager.

Martin Saager ist 45 Jahre alt, ein großer Mann, die Kappe wirkt klein auf seinem Kopf. Seine Füße stecken in schweren Gummistiefeln, von oben bis unten ist er in blau-gelbes Plastik gehüllt. Saager macht das, was man passive Fischerei nennt: also ohne Motor und Schleppnetze in Küstennähe fischen. Er stellt seine Netze vor dem Wismarer Hafen, lässt sie warten und holt sie meist morgens wieder aus dem Wasser. Davon leben kann er nicht. Seit Oktober ist der 45-Jährige deshalb einer von 11 Fischern, die sich zu einem Sea Ranger ausbilden lassen, den so genannten Förstern der Meere.

Von Meer in die Schule

Das ganze ist ein Pilotprojekt. Für die Ausbildungsblöcke fährt er wochenweise in das zweieinhalb Stunden entfernte Sassnitz auf Rügen. Neben dem Fischen sollen die 11 zukünftigen Sea Ranger später zum Beispiel Tou­ris­t*in­nen aufs Schiff mitnehmen und über ihren Beruf informieren. Außerdem sollen sie Proben für die Forschung zuliefern können, und beim Monitoring von Fischlarven in Küstennähe helfen. Oder in Schulen gehen und Vorträge über Meeresschutz halten. Auch Seebestattungen durchführen oder Kooperationen mit Museen sind mögliche Aufgaben, oder die Mithilfe bei der Entwicklung von nachhaltigen Fangmethoden und Aquakulturen.

So ganz klar ist noch nicht, wie der Arbeitsalltag später aussieht, denn die angehenden Sea Ranger sind die ersten ihrer Art. Nach ihrer Abschlussprüfung im Juni sollen sie die Arbeit aufnehmen, dafür sollen sie 2.000 Euro monatlich bekommen. Die 11 Fischer haben bereits einen Verein gegründet, über ihn soll die Koordination von Aufträgen laufen.

Wieder zur Schule gehen, war erst „gewöhnungsbedürftig“, sagt Saager. „Wir sind aktive Fischer, und dann die ganze Zeit stillsitzen und zuhören, das war neu.“ Erste Aufgaben hat Saager schon übernommen, zum Beispiel Geisternetze aus dem Meer zu holen. Das Geld für die Ausbildung kommt vom Land Mecklenburg-Vorpommern, die Idee von der Fischereigenossenschaft Wismarbucht. Saager ist dort im Vorstand.

Vom Fischen kann in Deutschland kaum jemand leben

Die deutsche Ostseefischerei stirbt aus, und wird an vielen Stellen mehr oder weniger sozial verträglich abgewrackt. Die Idee der Sea Ranger ist der Versuch, trotz nahezu leerer Netze die aktive Fischerei aufrechtzuerhalten, und das praktische und kulturelle Wissen der Fischer über die Ostsee zu nutzen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Dass vom Fischen in Deutschland so gut wie keiner mehr leben kann, ist nicht neu. 1992 waren es in Mecklenburg-Vorpommern noch 780 haupt­erwerbliche Küstenfischereibetriebe. 2021 waren es nur noch 184. Im Moment gibt es in dem Bundesland keine Auszubildenden zum Fischwirt oder zur Fischwirtin für die kleine Hochsee- und Küstenfischerei mehr.

Das liegt an drei Dingen. Erstens an Überfischung, vor allem von Brotfischen wie Hering und Dorsch. Der Rat der EU-FischereiministerInnen hat im Oktober 2023 den gezielten Fang des Herings endgültig verboten, damit sich der Bestand erholen kann. Die kleine Küstenfischerei ist davon zwar ausgenommen, das hilft ihr allerdings nicht, denn der Hering ist schon weitgehend weg. Zweitens haben Hitzeperioden in den letzten fünf Jahren das Wasser derart erwärmt, dass die Lebenszyklen nicht mehr zusammenpassen.

Der Dorsch laicht zum Beispiel deutlich früher als sonst. Das Phytoplankton, das er isst, wächst dann allerdings noch nicht, weil sich dessen Wachstum nach Lichtverhältnissen richtet und nicht nach der Wassertemperatur. Dadurch verhungern die Jungfische. Und drittens leitet die Landwirtschaft seit Jahren zu viele Nährstoffe ins Abwasser, wodurch sich unter anderem der Sauerstoffgehalt in der Ostsee stark verändert.

Forscher in Küstennähe

In der Ausbildung lernen die Fischer mehr über diese Veränderungen, und darüber, wie sie helfen können. „Wir haben zum Beispiel eine Forschungslücke zwischen Strandlinie und etwa 9 bis 20 Meter in die Ostsee hinein“, sagt Kai de Graaf. Der Naturpädagoge und Forscher arbeitet am Center for Ocean and Society der Universität Kiel und hat Teile der Sea-Ranger-Ausbildung mitkonzipiert. Wegen des höheren Tiefgangs kommen Forschungsschiffe nicht dort hin, wo die Fische laichen und wo sich die Jungtiere aufhalten. Fische in diesen Stadien können aber viel über Anpassungen der Arten an die Bedingungen aussagen. „Sea Ranger könnten mit ihren flachwassertauglichen Kuttern Forschungsdaten sammeln“, sagt de Graaf.

Fischerei ist ein wichtiges Kulturgut an der Ostseeküste. Um das weiterzugeben, lernen Saager und seine Kollegen zum Beispiel auch, Vorträge mit PowerPoint zu erstellen und sie vor Schulklassen zu halten. „Auch wenn das sonst nicht so mein Ding ist“, sagt Saager. Im Rahmen der Ausbildung waren sie in einer 4. Klasse in Sassnitz, Saager hat Kindern seine Fanggeräte erklärt. „In dem Alter sind sie echt noch neugierig“, sagt Saager.

Nachwuchs zu finden, beschäftigt Saager am meisten. Er lächelt, wenn er davon spricht, zum Beispiel von einem Viertklässler, der eine Sendung über die Ausbildung im NDR gesehen hat und deshalb bei ihm vorbeigekommen ist. Und von einem Achtklässler, der bei ihm ein Praktikum macht. Noch zwei Jahre hat der Schüler bis zum Abschluss. „Das könnt vielleicht was werden“, sagt Saager, der die Hoffnung auf einen Nachfolger in seinem Betrieb nicht aufgibt. Die Ausbildung zum Sea Ranger könnte junge Menschen in den Fischerberuf locken, hofft er.

„Klar, es ist ein Überlebenskampf, aber die Fischer, die ich kennenlernen durfte, sind sehr ruhige Leute“, sagt Forscher Kai de Graaf. „Solange das Schiff nicht sinkt, machen sie weiter.“ Seit 2016 hält sich Saager vor allem mithilfe seines Imbisses über Wasser, den er mit einem Kollegen betreibt. Den Fisch, den er dort verkauft, holt er zu großen Teilen bei Kollegen von Rügen. Ein Traum von ihm war der Imbiss nicht, aber er ermöglichte ihm, seinen Betrieb zu finanzieren. Dabei könnte ihm das Gehalt als Sea Ranger ebenfalls helfen. „Jetzt geb ich nicht mehr auf“, sagt Saager. Ein Küstenfischer hat schließlich immer Hoffnung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • „Klar, es ist ein Überlebenskampf, aber die Fischer, die ich kennenlernen durfte, sind sehr ruhige Leute“, sagt Forscher Kai de Graaf. „Solange das Schiff nicht sinkt, machen sie weiter.“...



    /



    Den wirklich harten Kampf ums Überleben ficht doch seit Langem der Fisch aus, nicht der Fischer.



    /



    Zur Erheiterung eine Interaktion von Hering und Scholle:



    youtube.com/watch?...8uo&feature=shared

    • @Martin Rees:

      Landratte Flunder / Scholle

      Dass beide Plattfische sind ist wohl logisch. Bei uns in der Ostsee und Nordsee kommen aber drei häufige Plattfischarten vor. Scholle, Flunder und Kliesche.



      Je nach Untergrund passen die sich farblich an. Hier ist also keine sichere Unterscheidung für den Laien möglich.



      Diese sicher zu unterscheiden ist jedoch relativ einfach, wenn der Fisch angefasst werden kann. Dazu streicht man mit dem Finger bei einem feuchten Fisch vom Kopf zum Schwanz und zurück.



      Ist der Fisch in beiden Richtungen rauh, dann ist es eine Flunder. Ist er in beiden Richtungen völlig glatt, dann ist es eine Scholle. Wenn er vom Kopf zum Schwanz total glatt ist, aber in der Gegenrichtung rauh, dann liegt eine Kliesche vor.“



      www.gutefrage.net/...ed-scholle-flunder



      & Wiki



      Die Scholle oder der Goldbutt (Pleuronectes platessa) gehört zur Ordnung der Plattfische (Pleuronectiformes) sowie zur Familie der Schollen und ist ein Speisefisch.



      de.wikipedia.org/wiki/Scholle_(Fisch)



      &



      Die Flunder (Platichthys flesus) ist ein Plattfisch aus den Küstengewässern Europas. Sie lebt im Weißen Meer, entlang der Küste Norwegens, in Nord- und Ostsee, rund um die Britischen Inseln, in der Biskaya, an der Küste der Iberischen Halbinsel und die nördliche Mittelmeerküste entlang bis zur Ägäis. Außerdem kommt sie im Schwarzen Meer und an der Atlantikküste Marokkos vor. Die Flunder bevorzugt Brackwasser, verträgt aber auch Salz- und Süßwasser. Bevorzugt hält sie sich an Flussmündungen sowie in Förden, Fjorden und Buchten auf. Einige Exemplare wandern weit die Flüsse hinauf.



      de.wikipedia.org/wiki/Flunder



      oder =>



      Scholle beim Schälen der 🧅 gemeint?



      Der ja im wahren Leben Scholl hieß und nicht verhindern konnte - daß mein Kollege Weggefährte Freund in Bonn durch‘s Abi rauschte!



      Überschwemmte Wiese paßt - Günni Grass is gebürtig aus Danzig - wie Ehmkes Horschtel!



      www.faz.net/aktuel...hund-begraben-1353

      • @Lowandorder:

        Ach was! ©️ Vagel Bülow

        Auch deswegen - weswegen ich den Ranwanzer Kaschuben quer hab! Woll

        “GRASS-MEMOIREN



        Da liegt der Gammelhund begraben



        Von Michael Gassmann, Casesi



        08.09.2006, 11:09



        Foto; “ Mann, der konnte es!



        Günter Grass am Waschbrett“

        Günter Grass erzählt in „Beim Häuten der Zwiebel“, er habe in Düsseldorf mit Louis Armstrong gejazzt. Der Mann am Banjo, Günther Scholl, den Grass in seinem Roman „Scholle“ nennt, erzählt die wahre Geschichte.



        www.faz.net/aktuel...raben-1353508.html



        Na lesens selbst! Und Scholl - rückt grade - ist ihm Ende aber gnädig!



        Günni WaffenGraSS setzt er -

        “ Auch bei Günther Scholl werden aus Erinnerungen Geschichten. "Das ist zwar nicht wahr", sagt Scholl über die Geschichte, die Grass über Armstrong, Grass und Scholl erzählt, "aber gut erfunden". Es hätte ja so sein können, meint Scholl nicht ganz ohne Stolz. "Und so können wir es ja auch belassen. Es tut keinem weh." Anders als die Tatsache der Mitgliedschaft in der Waffen-SS, die einzige zweifellos neue und unbezweifelbar wahre Geschichte, die Grass beim Häuten der Zwiebel ausgepackt hat. Scholl bewundert den Kollegen nach wie vor: "Das ist doch eigentlich die Genialität vom Günter Grass, daß der seinen Stoff speichert, umwandelt und einsetzt."



        Papa Gnädig - wie mein Freund meinte.

  • "„Auch wenn das sonst nicht so mein Ding ist“, sagt Saager. Im Rahmen der Ausbildung waren sie in einer 4. Klasse in Sassnitz, Saager hat Kindern seine Fanggeräte erklärt."



    Den Kindern also erklären, wie mensch Leid (Fische ersticken/töten) verursacht und zur jetzigen Misere (wie Fischsterben) mitbeigetragen hat? Klingt jetzt nicht soo nachvollziehbar. Es sei denn als abschreckendes Beispiel ...



    "Die Ausbildung zum Sea Ranger könnte junge Menschen in den Fischerberuf locken, hofft er."



    Hoffentlich nicht. Wenn die jungen Menschen schlau sind, gehen sie ihm nicht auf den Leim sondern werden Veganer*innen, wenden sich (veganer) ökologischer Landwirtschaft zu o.ä. ...

  • Ach was! ©️ Vagel Bülow

    “Beruf Sea Ranger: Der Herr der Heringe“

    Na endlich. Ein Forschungsschiff trägt seinen Namen:



    Paulus Schiemenz. “Wenn wir so weitermachen.



    Wird eines Tages noch der Hering ein begehrter Speisefisch werden!“



    Irgendwann in den 20ern - vielmehr noch ein Arme-Leute-Essen!

    unterm——



    ”Paulus Schiemenz (* 4. Dezember 1856 in Kalkwitz, heute Landkreis Oberspreewald-Lausitz; † 15. Dezember 1936 in Berlin) war ein deutscher Fischereibiologe und Hochschullehrer.“



    “Schiemenz schuf „die Grundlage der Fischereibiologie als Wissenschaft“, hieß es 1936 in einer Notiz zu seinem 80. Geburtstag in der Fachpresse. Der Biographiensammler Heinz Kullnick bezeichnete Paulus Schiemenz als „Altmeister der preußischen Binnenfischerei“. Einer wissenschaftlichen Institutsgeschichte zufolge gilt er „als Begründer der modernen Fischereiwissenschaft“



    & Däh =>



    mit Maximilian Marsson: Die Schädigung der Fischerei in der Peene durch die Zuckerfabrik in Anklam, in: Zeitschrit für Fischerei, Band 9 (1901), S. 25–80



    But! =>



    Gelernt wurde wie wir heute konstatieren wenig! Woll s,o.

    Bonmot am Rande -



    Unsere alte Dame*04 kannte den Herrn Prof. aus Berlin.



    “Schiemenz? Ein Riese - und wenn er alle überragend mit seinem Damenflor über den Markt ging! Professor - ha! aber den Weidenkorb am Arm und gern dazu zehn Klopapierrollen mit Kordel drum dabei!“



    (ps daß sie sich denn auch glatt weigerte einen professoralen Nachfahren zu Siezen!



    “Waas - den kenn ich doch noch in kurzen Hosen!“



    Nun. Nicht jeder verknust sowas! Schade - 🙀🥳 -



    Sie konnte so wunderbar charmant en passant respektlos sein.



    Ja. Die Lo! Herrlich.