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Bernhard Pötter Wir retten die WeltLa Folie de la Frischhalte

Foto: privat

Es waren tolle Tage am Mittelmeer, mit denen wir Ende September bei Toulon den Sommer verlängerten: die Sonne genießen, wenn sie keine Löcher mehr in die Haut brennt; im Meer nach bunten Fischen schnorcheln, wenn die marine Hitzewelle langsam abklingt; Baguettes, Rosé und Restaurants genießen, wenn sie nicht von Menschenmassen überrannt werden. Nur bei der Planung des Picknicks standen mir regelmäßig die Haare zu Berge: Sandwiches schmieren, und dazu die Rolle mit der Plastikfolie so routiniert nutzen wie das Buttermesser: ssssst, ratsch, einwickeln; sssst, ratsch, einwickeln, immer und immer wieder. Und sich dann beim Schnorcheln über den Kunststoffmüll wundern, der überall rumliegt und rumtreibt.

Unsere französischen Freundinnen und Freunde haben ein schönes Wort für Wahnsinn, Quatsch, Verrücktheit: La Folie. Wenn ich mich in den Küchen und Haushalten so umsehe, ist es bei uns vor allem: La Folie de la Frischhalte. Der Wahnsinn der Plastikfolie, mit der alles immer dauernd schnell mal eben verschweißt wird: die Sandwiches in der Brotbox, die Äpfelschnitze, die Pizzastücke von gestern für den Kühlschrank; die Avocado gegen’s Braunwerden, jedes noch so kleine Stückchen Käse. Sssst, ratsch, einwickeln. Wieder 400 Quadratzentimeter Plastik mehr in der Tonne und damit in der Welt.

Eigentlich bin ein Fan der Strategie: Für die Rettung der Welt sollten wir die großen Entscheidungen mit Öko-Bewusstsein fällen und beim Rest flexibel sein: Kauft Ökostrom, dreht die Heizung runter, fahrt Fahrrad und Zug statt Auto, fliegt nicht in den Urlaub, esst wenig oder kein Fleisch, wählt eine Partei, die versucht, Klimaschutz ernst zu nehmen – und macht ansonsten doch, was ihr wollt. Aber manchmal explodiert in mir dann doch die Öko-Wut: Braucht jedes Sandwich eine sterile Verpackung? Jede Keks­packung eine eigene Plastikhülle? Muss jede Gurke ein Kondom übergezogen bekommen? Und der Einpackenwahn ist ja überall: Beim Asia-Imbiss verschwindet Tofu süßsauer in Plastikdose mit Plastikgabel in Plastiktüte, ehe ich „Weniger Plastikscheiß wäre doch …“ sagen kann. Döner? Wenn man nicht sofort widerspricht, wickeln die Babos am Grill den Fladen in einen Meter Aluminiumhaut. Ja genau, Aluminium, dieses Metall, das bei Bergbau und Herstellung einen Öko-Fußabdruck wie eine Müllverbrennungsanlage hat. Das man nutzen sollte, um Windräder und Flugzeuge zu bauen – aber doch nicht, um „Einmal alles mit scharf“ für eine Minute warm zu halten.

Natürlich geht das alles besser und vor allem weniger: Reste im Kühlschrank in Glas- oder Tupperware, Papierservietten zum Einwickeln (jaja, Papiertüten haben nicht unbedingt die bessere Ökobilanz), eigene Becher im Coffeeshop und eigene Behälter mitbringen, wenn Opa unbedingt Ente kross vom Chinesen haben will. Für all das braucht man keine Nobelpreisträger, sondern nur ein bisschen Nachdenken und Vorausdenken und dann ein paar Gewohnheiten ändern. Nicht nur im Urlaub.

Die gute Nachricht: Es tut nicht wirklich weh, die Folie de la Frischhalte im gleichen Schrank zu lassen, in dem man noch alle seine Tassen hat. Den Wahnsinn bei den kleinen Dingen zu stoppen. Denn sonst können wir auch bei den großen Fragen – ganz genau – einpacken.

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