Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Abtauchen im Business as unusual
Zwei Stunden auf dem Rad an einem brüllend heißen Sonntagmittag, und da ist endlich das Ufer. Ein enger Pfad durch dichtes Gestrüpp zum Kieselstrand. Das Wasser läuft mir herrlich in die Sandalen, über die Knie und dann … muss ich erst mal eine Stelle suchen, die wenigstens Badewannentiefe hat. Weiter unten spielen Kinder in Windeln im Fluss, der eigentlich nur ein Bach ist. Ich tauche unter und denke: krass. Dieses Rinnsal hat vor vier Jahren mitten in Deutschland 135 Menschen in den Tod gerissen.
Radfahren an der Ahr: Am freien Tag der Klimakonferenz in Bonn wollte ich ein bisschen Natur sehen. Im Konferenzzentrum streitet man sich, wer jetzt Geld für die Anpassung an den Klimawandel und für den Ausgleich für „Verluste und Schäden“ zu zahlen hat. Im Ahrtal findet man: viel Natur, viel Baustelle und jede Menge Verlust, Schäden und Anpassungsfinanzierung.
Obwohl Deutschland eines der reichsten Länder der Welt ist, sieht man hier immer noch Spuren von Verwüstung und Wiederaufbau. Viele Häuser sind verdächtig frisch gestrichen, Brücken neu gebaut; an einer Garage das Graffito „Danke an alle Helfer“; auf einem Sportplatz türmen sich alte Gummibodenplatten; in einer Kirche ist meterhoch der Putz abgeschlagen. Der Radwanderweg ist angeknabbert und tief unterspült, hinter einer Kurve fehlt die Brücke. Die Natur verschont auch nicht die fossilfreie Infrastruktur.
Die Älteren werden sich erinnern: Mitten im Wahlkampf 2021 riss eine Flut im Tal der Ahr Brücken, Häuser und Menschen weg. Das harmlose Flüsschen mit Kurorten am Rand wurde zu einem Schlammmonster, weil ungewöhnlich starker Regen ungewöhnlich lange über dem Quellgebiet hing. Der Klimawandel habe das Ereignis 1,2- bis 9-mal wahrscheinlicher gemacht, hieß es hinterher. Und CDU-Kandidat Armin Laschet verlor die sichere Kanzlerschaft, weil er in einem unpassenden Moment beim Lachen erwischt wurde – nicht, weil er angesichts der Flut mindestens ebenso unpassend meinte, „weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik“. Es gab viele solcher Tage und wird sie weiter geben. Aber auch Laschets Nachnachfolger denkt nicht daran, deshalb seine Politik zu ändern.
Auch bei der Konferenz in Bonn: Business as usual. Anpassung und Schäden kann man an der Ahr erleben, aber die Delegierten lassen sich nicht blicken. Die Konferenz hat sich mit ihren ewig gleichen und gut klimatisierten Ritualen von Diplomatie und Schuldzuweisung weit von der Realität in der Klimakrise entfernt. Zwischen den Braunkohlegruben bei Garzweiler und dem verwüsteten Ahrtal konferiert sie vor sich hin wie aus einem anderen Jahrzehnt. Und vor den Fenstern ziehen immer noch die Schubkähne mit der Steinkohle rheinaufwärts vorbei. Sie müssen sich anstrengen, verbrennen stinkenden Diesel oder Schlimmeres, kämpfen gegen den Strom und für ein fossiles Fossiliensystem, sie leiden unter dem Hoch- und Niedrigwasser, das ihre Fracht bei Verbrennung verursacht – und mit dem Fahrrad kann man sie locker und emissionsfrei überholen. Alles, was man braucht, ist Entschlossenheit, Überwindung und jede Menge Bewegung. Dann kann man die Natur genießen und gepflegt abtauchen.
Ich glaube, jetzt reicht’s auch mit den Metaphern. Sie haben es verstanden, oder?
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