Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Wenn die Schöpfung zum Teufel geht
Mein Sohn war überrascht: „In Dortmund ist Kirchentag? Warum bist du dann noch hier?“ Seine Erwartung war berechtigt. Als halbwegs gläubiger Katholik schätze ich diese Treffen: Selten wird so ernsthaft und konstruktiv über wichtige Themen diskutiert wie dort; selten treffen sich so viele Menschen, die sich dem Motto dieser Kolumne verschrieben haben; kaum irgendwo ist die Arschgeigendichte geringer als hier. Mit ein bisschen Glück können Sie dort den wichtigsten Menschen Ihres Lebens treffen. Glauben Sie’s mir.
Selbstverständlich reden in Dortmund viele auch über die „Bewahrung der Schöpfung“. Und auch da muss man loben: Viele Kirchengemeinden haben schon auf fairen Handel und Ökostrom gesetzt, als das bei der Christenpartei noch als Teufelszeug galt. Religiöse Menschen treiben weltweit den Kampf für „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“ voran, der Papst haut der Welt die Abgründe von Kapitalismus und Umweltzerstörung um die Ohren. Und Protestanten heißen nicht umsonst so. Wenn es gegen Kohle, Atom oder Gentechnik geht, findet die Pfarrerin immer eine passende Stelle in der Bibel, und die Frauen der Gemeinde schmieren Stullen für die Mahnwache.
Aber seltsam: Wie existenziell die Bedrohung durch Klimawandel und Artenmorden ist, sickert offenbar nicht zu den Experten für Existenzielles durch. Wenn in den letzten 2.000 Jahren die Kirchen etwas richtig gestört hat, haben sie ihren jeweiligen Gegnern kräftig die Hölle heiß gemacht: Da wurden Kaiser mit Acht und Bann belegt, da wurden Kreuzzüge vom Zaun gebrochen oder Orden gegründet, da wurden „Hexen“ und „falsche Propheten“ bei lebendigem Leib verbrannt. Jetzt aber geht es nicht um weltliche Machtspiele. Sondern darum, dass die „Schöpfung Gottes“ zum Teufel geht – und zwar durch eine konkurrierende Religion, die eigene Dogmen, Hohepriester, Kathedralen und Heilsversprechen hat. Aber mit dem Kapitalismus haben sich die Christen auf Ökumene geeinigt. Kein heiliger Krieg, keine Exkommunikation falscher Propheten. Wo bleibt der Öko-Kreuzzug?
Eineinhalb Stunden Zugfahrt hinter Dortmund tagt derzeit in Bonn wieder die internationale Klimagemeinde. Bei diesen Konferenzen gibt es oft einen „Prayer Room“. Die Verhandler können hier die Schuhe ausziehen und mal die Seele baumeln lassen. Diesen geschützten Raum kann man nutzen, wenn man für die niederschmetternde Realität da draußen irgendwo Hoffnung tanken muss. Oder wenn man denkt: Da hilft nur noch beten.
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