Bernd Mesovic von Pro Asyl: "Religion darf nicht entscheidend sein"
Deutschland darf nicht nur verfolgte Christen aus dem Irak aufnehmen, meint Bernd Mesovic von Pro Asyl. Schäubles Einsatz für irakische Christen sei populistisch
taz: Herr Mesovic, was haben Sie gegen die Aufnahme irakischer Christen in Europa?
Bernd Mesovic: Gar nichts. Aber die Debatte hat eine gefährliche Schieflage. Es kann nicht sein, dass nur Christen aufgenommen werden, dass die Religion also zur entscheidenden Kategorie für die Aufnahme von Flüchtlingen wird. Das muss die Schutzbedürftigkeit sein.
Bundesinnenminister Schäuble argumentiert, die Lage der religiösen Minderheiten im Irak sei besonders dramatisch und die religiösen Minderheiten seien zu 99 Prozent Christen.
Das mag ja sein. Aber man darf andere religiöse Minderheiten wie zum Beispiel die Jesiden nicht vergessen. Und man muss andere gesellschaftliche Minderheiten, die verfolgt werden, ebenfalls im Blick haben: zum Beispiel Homosexuelle. Bei einem großen Aufnahmeprogramm, wie wir es benötigen, muss man Kategorien bilden, wenn man die Flüchtlinge nicht noch durch ein individuelles Verfahren schleusen will. Aber diese Kategorien dürfen nicht nur entlang der Religionsgrenzen verlaufen. Das alles kann natürlich trotzdem dazu führen, dass ein Großteil der Betroffenen, die von Deutschland und Europa aufgenommen werden, Christen sind.
Was treibt die Innenminister, sich so auf die Christen zu kaprizieren?
Das Ganze hat natürlich einen populistischen und islamophoben Unterton, der besagt: Die einen sind integrationsfähig, und die anderen sind es nicht.
Ist das neu, oder gab es eine solche Debatte in der Flüchtlingspolitik schon einmal?
Das ist neu. Aber wir hatten ja schon sehr lange keine Aufnahmeaktion mehr, wie sie jetzt in der Diskussion ist.
Der slowenische EU-Ratspräsident hat die Initiative der deutschen Innenminister umgehend zurückgewiesen und gesagt, ein Programm nur für Christen sei nicht sinnvoll. Haben die Deutschen damit einer gemeinsamen EU-Initiative geschadet?
Nein, das glaube ich nicht. Aber ich bin froh, dass die EU-Ratspräsidentschaft so schnell darauf hingewiesen hat, dass man diskriminierende Tatbestände nicht zum Entscheidungskriterium für ein Aufnahmeprogramm machen kann. Denn sonst machen wir den internationalen Flüchtlingsschutz auch noch von dieser Seite kaputt.
Was fordert Pro Asyl mit Blick auf die irakischen Flüchtlinge?
Wir benötigen ein Programm, wie es das nach dem Vietnamkrieg in den 70er-Jahren für die Boatpeople aus Indochina gab. Deutschland könnte wie damals 30.000 Flüchtlinge aufnehmen. Wichtig ist, dass man den Menschen dauerhaft eine Heimat gibt und nicht nur temporäre Aufnahme gewährt. Denn bestimmte Gruppen haben keine realistische Option, zurückzukehren. Deshalb brauchen die Flüchtlinge einen festen Aufenthaltsstatus, Integrationskurse, Zugang zum Arbeitsmarkt. Und das muss man der Bevölkerung auch vermitteln.
Wie ist die Situation irakischer Flüchtlinge hierzulande bislang?
Die ist in vielen Fällen prekär. In Deutschland leben insgesamt etwa 70.000 Flüchtlinge aus dem Irak. In den vergangenen Jahren hatten wir etwa 20.000 Widerrufsverfahren, bei denen Iraker ihren Status verloren haben: Viele sind in der Duldung gelandet, einige in den Nordirak abgeschoben worden. Positiv aber ist in den letzten Monaten, dass die Anerkennungsquote stark gestiegen ist. Die Schutzquote, also die Summe aller positiven Entscheidungen, lag im vergangenen Jahr bei über 70 Prozent. Die Behörden erkennen jetzt langsam, dass mit dem Regimewechsel im Irak die politische Verfolgung eben leider nicht aufgehört hat.
INTERVIEW: SABINE AM ORDE
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