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Bermudadreieck der vierten Dimension

Nach Angaben des Ex-Ministers Stavenhagen sollen die falschen Pässe für Schalck Eigenmächtigkeit des BND gewesen sein/ Eröffnung wertvoller Einblicke in das Innenleben von Panzerschränken  ■ Aus Bonn Thomas Scheuer

Die Schlüsselfrage plazierte wieder einmal die Abgeordnete Ingrid Köppe vom Bündnis 90/Grüne: „Herr Stavenhagen, warum sind Sie eigentlich zurückgetreten?“

Doch davon wollte der Ex-Geheimdienstminister Lutz Stavenhagen in der gestrigen Sitzung des Schalck-Ausschusses wirklich nichts hören. Und auch der Ausschußvorsitzende Horst Eylmann befand leider, daß ausgerechnet dieses Anliegen nicht vom Untersuchungsauftrag abgedeckt sei. Hat der ehemalige Staatsminister im Kanzleramt also nur aus Jux und Tollerei das Handtuch geworfen? Sind die Medien einem Phantom aufgesessen, als sie vor zwei Tagen meldeten, Stavenhagen sei — neben den „Landmaschinen“ für Israel — vor allem über die Schalck-Affäre gestolpert?

Just um eben diese Rolle Stavenhagens in der causa Schalck aber ging es gestern im Ausschuß: Wann erfuhr Kanzler Kohls BND-Aufseher von den falschen Pässen für das Ehepaar Schalck? Wie konnte ein Geheimbrief des BND zum Thema für ganze eineinhalb Jahre im Panzerschrank eines Abteilungsleiters verstauben?

Von Anfang an, so berichtete Stavenhagen, habe er den Spähern in Pullach, denen sich der ehemalige SED-Goldfinger als Informant angedient hatte, die „klare politische Vorgabe“ gesetzt: Befragung ja, Betreuung nein! Bezahlung oder gar Straffreiheit hätten nie zur Debatte gestanden. Von Decknamenpapieren für Schalck sei im Kanzleramt nie die Rede gewesen. Die zeitweise Ausgabe falscher Pässe und Führerscheine auf den Namen Gutmann an das Ehepaar Schalck bezeichnete er als „Eigenmächtigkeit“ des damaligen BND-Präsidenten Hans-Georg Wieck, über die er zumindest hätte informiert werden müssen. Er habe von den Pässen nichts gewußt, als er im März 1990 dem SPD-Angeordneten Peter Conradi auf Anfrage mitteilte, der BND habe Schalck keine Pässe beschafft. Ein Geheimbrief von BND-Chef Wieck vom 28. März 1990, in dem dieser erstmals wörtlich von Deckpapieren für Schalck schreibt, will Stavenhagen erst im August bei der Zusammenstellung der BND-Akten für den Schalck-Untersuchungsausschuß zu Gesicht bekommen haben.

Briefe verfaulten auf „Jungs Komposthaufen“

Nach Stavenhagens Auslassungen drängte sich also wirklich die Frage auf: Wieso trat er zurück? Schließlich bescheinigte er sich zumindest im Falle Schalck ein absolut korrektes Verhalten. Doch es blieben eben Widersprüche: Warum etwa hat Stavenhagen, der jetzt alle Schuld dem BND zuschiebt, noch auf einer Pressekonferenz im August erklärt, die Ausstellung von Decknamenpässen aus Sicherheitsgründen habe sich noch im Rahmen seiner Weisung bewegt? Vor allem aber: Wie konnte ein Geheimbrief des BND-Präsidenten zum Topthema Schalck so lang verschollen bleiben. Erst letzte Woche, eine gute Woche vor Stavenhagens Ausschuß-Auftritt, tauchte es — oh Wunder — wieder auf.

Darüber sollte die Befragung des Geheimschutzbeauftragten im Kanzleramt, Frank Hoffmann, und des für den BND zuständigen Abteilungsleiters, Hermann Jung, Aufschluß geben. Die Aussagen der beiden Beamten gewährten einen tiefen Einblick in das Innenleben der Geheimdienstkoordination in der Regierungszentrale. Hoffmann hatte letzte Woche zunächst den leeren Kurierumschlag, schließlich das verschwundene BND-Papier selbst aufgestöbert — im „Komposthaufen Jung“, wie der SPD-Abgeordnete Andreas von Bülow den Panzerschrank des BND-Abteilungsleiters mittlerweile nennt. Das ganze Kanzleramt scheint ihm ein „Bermudadreieck der vierten Dimension“ zu sein. Jungs Tresor, so der Geheimschützler Hoffmann, sei bei der Überprüfung „übervoll“ gewesen mit Verschlußsachen, die eigentlich in die Registratur gehörten: „Einen geordneten Eindruck machte der Panzerschrank beim Öffnen nicht.“ Der Wieck-Bericht, der ja bis dahin spurlos verschwunden war, habe zahlreiche „Bearbeitungsspuren“ wie Unterstreichungen und Anmerkungen enthalten. Abteilungsleiter Jung gab an, den Brief damals erhalten, trotz der brisanten Thematik aber nie gelesen zu haben. BND-Chef Wieck habe die Bonner Zentrale mit „mehreren hundert“ Briefen jährlich eingedeckt. Da wanderte eben manches ungelesen auf die Halde. Womöglich konnte Lutz Stavenhagen den BND- Bericht angesichts solcher Zustände im Kanzleramt gar nie zu Gesicht bekommen. Nur: Für diese Zustände war er als Chef eben auch mit verantwortlich. Vielleicht ist er ja aus dieser Einsicht heraus zurückgetreten — wenn er es Frau Köppe gegenüber auch geheimhalten wollte. So sind sie eben, die Geheimdienstgeschädigten.

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