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Berlins schwarz-roter Senat„Selbstverständlich Kurswechsel“

Regierungschef Kai Wegner (CDU) verteidigt seine Verkehrssenatorin Manja Schreiner gegen Kritik wegen Planungs- und Baustopp für Radwege.

Aus Sicht der Verkehrssenatorin sollen Radfahrer nicht grundsätzlich Vorrang im Straßenverkehr haben Foto: Paul Langrock

Berlin taz | Kurswechsel in der Verkehrspolitik quasi als Wählerauftrag, aber keine Absage an eine Mobilitätswende: So hat Regierungschef Kai Wegner (CDU) am Dienstag den Weg der schwarz-roten Koalition skizziert und seine zuletzt viel kritisierte Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) in Schutz genommen. Die hatte Bau und Planung von Radwegen auf Eis gelegt. „Ich stehe zu 100 Prozent hinter der Verkehrssenatorin“, sagte Wegner nach der Senatssitzung. Er sieht seinen Wahlsieg maßgeblich von zuvor sechs Jahren grün gesteuerter Verkehrspolitik beeinflusst. „Wenn die so beliebt gewesen wäre, dann säße ich heute nicht vor Ihnen“, sagte er in Richtung der Journalisten.

Die Landesregierung hatte am Vormittag den Entwurf jenes Teils des Mobilitätsgesetzes beschlossen, in dem es um Wirtschaftsverkehr geht. Der sollte eigentlich zusammen mit dem Abschnitt „Neue Mobilität“ schon im Mai im ­Abgeordnetenhaus Thema sein. Schreiners Verwaltung zog den Entwurf jedoch kurzfristig zurück – wegen Änderungsbedarf.

Der neue Entwurf beschränkt sich auf den Wirtschaftsverkehr – etwa Lieferverkehr und Müllabfuhr – und ist weitgehend unverändert. Laut Schreiner war es allein der nun fehlende Abschnitt zu neuer Mobilität, mit dem sie Probleme hatte. „Die anderen Teile des Gesetzes werden wir uns im Herbst anschauen“, kündigt sie an. Dort sei teils „apodiktisch“ festgelegt, dass die Verkehrswende auf Kosten des Autoverkehrs geht.

Wegner reagierte mit seinen Äußerungen auf die Frage, ob Schreiners Vorgehen – aus ihrer Sicht eine noch zwei bis drei Wochen dauernde Überprüfung, aus Sicht von Kritikern ein Stopp von Radprojekten – nun für einen Kurswechsel stehe. Rot-Grün-Rot sei abgewählt, es regiere nun Schwarz-Rot. „Selbstverständlich gibt es in vielen Bereichen dieser Stadt einen Kurswechsel“, sagte er.

Der Regierungschef erinnerte an einen Satz seiner Vorgängerin Franziska Giffey (SPD), der jetzigen Wirtschaftssenatorin, nach der Klausurtagung des neuen Senats vor zwei Wochen: „Jetzt sind Dinge möglich, die vorher“ – gemeint war sichtlich: unter Rot-Grün-Rot – „nicht möglich waren.“ Er wolle das erweitern: „Jetzt sind Dinge nicht mehr möglich, die wir viel zu lange hingenommen haben – und genau deshalb wurde auch dieser Senat von den Berlinerinnen und Berlinern gewählt.“

Wegner: Nicht alle Parkplätze erhalten

Auch bei einem Kurswechsel solle es aber mehr und sicherere Radwege als bisher geben. Wegner verwies darauf, dass die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch für vergangenes Jahr 40 Kilometer Radwege versprochen habe. Tatsächlich seien es nur 26,5 geworden – „die werden wir locker überbieten“. Wegner widersprach dem Eindruck, Schreiner wolle grundsätzlich alle Parkplätze erhalten: Dass für eine sicherere Kreuzung welche wegfallen müssten, „ist doch völlig unstrittig“. Er habe aber in den vergangenen Jahren nicht den Eindruck gehabt, dass es um mehr Sicherheit gehe. „Es ging ausschließlich darum, Parkplätze wegzukriegen.“

Die nun unter den Tisch gefallenen Paragrafen zum vormaligen Abschnitt „Neue Mobilität“ hatten darauf gezielt, einen „menschen- und stadtgerechten Verkehr“ durch „Ausbau und konsequente Umsetzung des Vorrangs des Umweltverbundes“ zu fördern. Außerdem war darin die Rede von „Maßnahmen zur Reduzierung und effektiveren Nutzung des Verkehrsraums für den fließenden und ruhenden motorisierten Individualverkehr“.

Gleichfalls gestrichen: Die Parkraumbewirtschaftung sinngemäß auf die komplette Innenstadt auszuweiten und sie konsequent zu überwachen sowie neue Konzepte wie Quartiersgaragen zu prüfen. Und beim Abschnitt zum Wirtschaftsverkehr ist das wenige, was wegfiel, mit dem Klimaschutz verknüpft. Es ging dabei um die Einführung eines „Markenzeichens für besonders sichere und emissionsarme Lieferfahrzeuge und Lieferprozesse“.

Antje Kapek, die Verkehrsexpertin der Grünen im Abgeordnetenhaus, zeigte sich von dem nun beschlossenen Entwurf, der Donnerstag ins Parlament soll, entsetzt. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm wird“, sagte sie der taz. Für sie ist die Neufassung des Gesetzes nicht nur eine „Rolle rückwärts in eine autogerechte Stadt“, sondern schadet zudem auch der Wirtschaft. Das Widersinnige aus Kapeks Sicht: „Ohne Fahrstreifen und Parkplätze anzutasten, ohne Regulierung von Parken und Autoverkehr bleibt alles, wie es ist, und Hand­wer­ke­r*in­nen und Lie­fe­ran­t*in­nen stecken weiterhin im Stau fest.“

Während im Senat die neue Fassung des Mobilitätsgesetzes auf dem Tisch lag, luden fünf grüne Verkehrsstadträtinnen zur Gegen-Pressekonferenz. Sie protestierten gegen den „Radwegstopp“ der Verkehrssenatorin, offiziell ein Überprüfungsmoratorium, und die Rücknahme von Finanzierungszusagen.

Die Stadträte erwarten einen Stopp dieses Stopps bis zum 5. Juli. Sollte das nicht geschehen, rechnen sie damit, dass viele Maßnahmen nicht mehr in diesem Kalenderjahr umgesetzt werden können. Damit verfielen Bundesfördermittel in Millionenhöhe. „Konservativ geschätzt“ stünden über alle Bezirke verteilt zehn Millionen auf dem Spiel, so Stadträtin Almut Neumann aus Mitte. Der Senat solle schriftlich zusichern, dass er Kosten für einen Ausbaustopp übernimmt

Sollte das nicht so kommen, setzen die Grünen auf bewährte Rezepte: „Die Zivilgesellschaft ist wach, sie hat sich das Mobilitätsgesetz hart erkämpft“, sagte Neumann. „Wir setzen darauf, dass da Druck kommt.“ Der kommt tatsächlich schon: Für Sonntag rufen Fridays for Future, der ADFC und Changing Cities zu einer Fahrraddemonstration auf, die am Roten Rathaus enden wird.

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1 Kommentar

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  • Mit "Berlin ist nicht Bullerbü" ist der neue Senat angetreten. Seine Politik macht Berlin aber zu Bullerbü (auf Deutsch: Krach-Dorf). Im heutigen Bullerbü haben sicherlich alle Haushalte einen Volvo-SUV und dazu noch ein paar Mittelklassewagen, um die Defizite des öffentlichen Nahverkehrs auszugleichen und die Kinder in Schule und Kita zu bringen (eine ordentliche Kitaversorgung gibt es zumindest in Schweden). Die Einwohner*innen sind gegen weitere Einwanderung und haben Angst vor nicht weißen Schwed*innen, obwohl da gar keine in der Nähe leben. Wenn der Senat jetzt gegen eine Reduzierung des individuellen Autoverkehrs vorgeht, hat das nichts mit Metropole zu tun - die echten Metropolen arbeiten daran, den motorisierten Individualverkehr und damit auch den ruhenden Verkehr in ihren Innenstädten zu reduzieren. Aber vielleicht hofft der senat darauf, dass bald aus aller Welt die verdrängten Autofahrer*innen nach Berlin kommen, um dort kostenlos zu parken, sinnlos auf Parkplatzsuche durch die Innenstadt zu fahren und Berlin zur Welthauptstadt des Autoverkehrs machen. Da ist doch sicherlich auch ein olympischer Wettbewerb mit drin...