■ Berlins Regierender Eberhard Diepgen sieht Mahnmal gescheitert: Beharrliches Kläffen
Die Debatte um das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas wird, um einen physikalischen Terminus für das Maß wachsender Unordnung zu verwenden, immer entropischer. Zur Kakophonie der Meinungsäußerungen, die nicht selten unter völligem Verzicht auf Argumentation daherkommen, unterbreitet Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen nun weitere Vorschläge. Mit der Ablehnung des Standorts für das Holocaust-Mahnmal in der Nähe des Brandenburger Tores torpediert er eine Entscheidung, die sein Kultursenator Peter Radunski während der drei Kolloquien zum Mahnmal im Frühjahr 1997 gegen die heftige Widerrede von verschiedenen Diskutanten administrativ behauptet hatte. Wer den Ort des Mahnmals in Frage stellt, so hatte es damals geheißen, gefährde leichtfertig das ganze Unternehmen. Diepgens unbekümmerte Äußerungen vom Wochenende, mit der Auslobung eines Mahnmals und den anschließenden Wettbewerben gescheitert zu sein, ist eine absurde Intervention unter Verkennung der eigenen Rolle als Auslober. Alles auf Anfang, lautet seine implizite Regieanweisung, wir haben uns geirrt.
Diepgens Sonntagsinterview rückt die seltsame Unschärfe und Unbestimmtheit der Berliner Politik in den Mittelpunkt. Seine Haltung zum Mahnmal, eine beklemmende Furcht vor einer „Hauptstadt der Scham“, ist in Präsentation und Performanz bar jeder metropolitanen Liberalität.
Hierin aber hätte genau die Rolle des Regierenden Bürgermeisters in der Mahnmalsfrage bestehen können: ein Moderieren kontroverser Positionen mit Blick auf die urbane Modernität der künftigen Hauptstadt. Anstelle politischen Gestaltungswillens trat Diepgen statt dessen immer wieder durch beharrliches Kläffen in Erscheinung. Die auffällige Berliner Lähmung, die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, hat nicht zuletzt mit dem politischen Klima der Hauptstadt-im-Werden zu tun. Es ist kein politisches Maß erkennbar, das den mehr als 30 Jahre herrschenden Klientelismus der Berliner Politik, der aus dem Anwaltsbüro der rechten 68er um Eberhard Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky hervorgegangen ist, ersetzen könnte. Die stabile politische Macht der Berliner CDU hat ihre kulturelle Legitimität längst verloren. Das äußert sich auf fatale Weise an Fragen, die viel mit Berlin und noch mehr mit nationaler Repräsentation zu tun haben. Das Berliner Problem besteht über eine Entscheidung zum Mahnmal hinaus. Harry Nutt
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