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Berlins PolizeipräsidentDer Reformer, der Widerstand nicht duldet

Dieter Glietsch hat aus der Polizeitruppe mit Korpsgeist eine moderne Behörde gemacht. Doch sein Führungsstil ist intern stark umstritten.

Am 1. Mai arbeiten, am 2. Mai feiern: Polizeipräsident Glietsch wird am Tag nach dem Tag der Arbeit 61 Bild: AP

Heraus zum 1. Mai. Es ist wieder so weit: Feiern, Flanieren, Demonstrieren - Tausende werden am morgigen Donnerstag auf der Straße sein. Die Polizei hält sich im Hintergrund, für alle Eventualitäten gerüstet, falls die Dinge am Abend in Kreuzberg wieder ein wenig aus dem Ruder laufen. Aber von einem Rückfall in die Zeiten der 80er- und 90er-Jahre, in denen der 1. Mai stets in Straßenschlachten endete, geht niemand aus.

Dass sich die Verhältnisse geändert haben, ist nicht nur das Verdienst von Polizeipräsident Dieter Glietsch. "Ich bin auf ein vorbereitetes Feld gestoßen", sagt Glietsch, der die Berliner Polizei seit sechs Jahren führt. Letztlich war es die Kombination von "Myfest", das von Kreuzberger Initiativen veranstaltet wird, und Deeskalationsstrategie der Polizei, die zur Eindämmung der Gewalt geführt hat. Glietsch hat daran großen Anteil, weil er die Polizei trotz Anfeindungen von der CDU strikt auf diesem Kurs hielt.

Als er im Sommer 2002 von der rot-roten Regierungskoalition zum Polizeipräsidenten gewählt wurde, war Glietsch in Berlin unbekannt. Vollkommen überraschend hatte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) den früheren Inspekteur der Polizei von Nordrhein-Westfalen als Nachfolger für den aus dem Amt geschiedenen Hagen Saberschinsky aus dem Hut gezaubert. Polizeibehörde und Gewerkschaften sahen es mit Unwillen, ihr Wunschkandidat war Polizeivizepräsident Gerd Neubeck gewesen.

In NRW wurde Glietsch wegen seines analytischen Sachverstands - "scharf wie ein Seziermesser" - gepriesen. Bei riskanten Einsätzen gehe er stets auf Nummer sicher, indem er drei Straßenzüge weiter eine Reserve stationiere. Dass er ein Fuchs ist, hatte er in NRW unter Beweis gestellt, als er einen Castor-Transport verfrüht auf die Schiene schickte und damit die Anti-AKW-Bewegung austrickste. Glietsch sei zwar ein trockener Typ, so wurde damals gesagt, aber durchaus kommunikationsfähig. Zumindest an Letzterem haben so manche inzwischen ihre Zweifel.

Glietsch politische Bilanz nach sechs Jahren Amtszeit ist fast makellos: Der 1. Mai ist weitestgehend befriedend, die Polizei produziert kaum negative Schlagzeilen, das Vollzugspersonal wurde auf rund 16.000 Beamte reduziert, die Führungsstrukturen wurden verschlankt, eine von sieben Polizeidirektionen aufgelöst, Polizeiabschnitte zusammengelegt. Glietsch hat viele heiße Eisen angefasst. Entsprechend voll des Lobes ist die Politik. "Das ist der beste Polizeipräsident, den wir je hatten", schwärmt SPD-Innenpolitiker Frank Zimmermann. Die Begeisterung reicht sogar bis ins Oppositionslager. Glietsch sei ein "guter Reformer", sagt Volker Ratzmann, Fraktionschef der Grünen. "Er hat der Berliner Polizei ein neues Image verpasst und für Transparenz gesorgt."

Man muss in politischen Kreisen eine ganze Weile suchen, um etwas Kritisches zu hören. Und selbst der innenpolitische Sprecher der CDU, Frank Henkel, zielt auf die rot-rot Koalition, wenn er den Polizeipräsidenten einen "willfährigen Vollstrecker von Senatsbeschlüssen" nennt, mit denen die Berliner Polizei kaputtgespart werde.

Für Glietsch ist der 1. Mai noch in anderer Hinsicht etwas Besonderes: Kurz nach Mitternacht, wenn die "Festspiele" überstanden sind, stößt er im Polizeipräsidium mit Innensenator Körting auf seinen Geburtstag an. Diesmal ist es der 61. Eigentlich könnte er im Juni in Pension gehen. Aber Glietsch hat so großen Gefallen an dem Job gefunden, dass er zu einer Verlängerung seiner Amtszeit bereit war - wenn alles klappt sogar bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2011. Das hat viel mit dem Verhältnis zu Körting zu tun, der Glietsch freie Hand lässt. Körting lässt auf Anfrage ausrichten, "Herr Glietsch erfüllt alles, was ich von einem Polizeipräsidenten erwarte". Er sei ein Mensch mit überragender Fachkompetenz, der auch in kritischen Situationen seinen Humor behält. Und es sei ihm anzumerken, dass er die Polizei von der Pieke auf gelernt habe. Glietsch beschreibt das so: "Der Innensenator ermöglicht es mir, meine Behörde so zu führen, wie ich und die Führungskräfte es für richtig halten."

Die Betonung liegt dabei eher auf dem "Ich" - denn Glietsch gilt nicht als Mannschaftsspieler. Dies verlautet aus vielen, unterschiedlichen Ecken der Polizei. Sein Führungsstil und die Art, wie er mit Menschen umgeht, wird scharf kritisiert. "Glietsch ist der absolute Kontrollmensch", heißt es. Jede Pressemeldung und jeder polizeiinterne Bericht gehe über seinen Schreibtisch, bevor diese das Haus verlassen.

Zudem habe eine Kultur des Misstrauens in der Behörde Einzug gehalten. Kaum ein Polizist traue sich noch, unabhängig von Glietsch mit Medien zu sprechen. Der Polizeipräsident sei omnipräsent.

Beschrieben wird Glietsch auch als "eiskalter Administrator", dem jegliches Gefühl für Mitarbeiterzuwendung abgehe. "Die Behörde ist nach innen ganz herzlos geworden." Der Präsident halte seine Leute auf Distanz; er verbreite durch die Art, wie er Mitarbeiter bei Führungsrunden kritisiere, ein Klima der Angst. Kaum ein Amts- oder Direktionsleiter wage es noch, Glietsch zu widersprechen - so schlecht sei die Stimmung. Der Polizeipräsident verwahrt sich gegen solche Darstellungen: "Das ist eine sehr einseitige, sehr schiefe Sicht der Dinge", erwidert Glietsch auf die Vorwürfe. "Mir sagt man sehr viel, auch ganz offen. Ich erwarte das auch."

Diese Kritik am Umgang mit seinen Mitarbeitern erstaunt vor dem Hintergrund, dass sich Glietsch nicht nur in fachliche Probleme sehr gut einfühlen kann. Schließlich ist die Prävention eines seiner Hauptanliegen. In den Direktionen und Abschnitten hat er sogenannte Präventionsbeamte eingeführt. Seit Glietsch im Amt ist, ist die Polizei bei Problemen in Kiezen an nahezu jedem runden Tisch vertreten. Im Umgang mit jugendlichen Gewalttätern in Wedding, Kreuzberg und Neukölln überzeugt seine Analyse des Problems. Verantwortlich für die seit Jahren unvermindert hohe Jugendgewaltkriminalität sowie die Tatsache, dass jeder zweite Tatverdächtige einen Migrationshintergrund hat, sei mangelnde Integration. Nur durch eine bessere Bildung und Ausbildung und durch berufliche Perspektiven könne das "Übel an der Wurzel gepackt" werden, betont der Polizeipräsident. Solange das nicht der Fall sei, werde die Gesellschaft mit diesem Problem konfrontiert sein. Daran würden auch 1.000 neue Stellen für die Polizei - eine beliebte Wahlkampfforderung von konservativen Politikern - nichts ändern.

Auch der Umgang mit Fehlern ist unter Glietsch anders geworden. Zuvor hatte die Polizei diese nie öffentlich eingestanden. "Interne Kritik ja, aber nach außen geben wir das nicht zu", so die Devise. Glietsch bedient sich, um Dinge aufzuklären, im Zweifelsfall auch externen Sachverstands. Dass er Dinge unter den Teppich zu kehren versucht, kann man ihm wahrlich nicht nachsagen.

Im scharfen Kontrast dazu steht wiederum Glietschs Umgang mit der Presse. Konkret: sein Verhältnis zur Pressefreiheit. Gegen Medienberichte, die ihm schlichtweg nicht passen, geht der 60-Jährige mithilfe von Anwälten presserechtlich vor. Das hat in Berlin zuvor noch kein Polizeipräsident gewagt. Egal ob Morgenpost, Bayrischer Rundfunk, Focus oder taz - fehlerhafte statistische Angaben über Ermittlungsverfahren gegen Polizisten oder über die Zahl der in Bereitschaft gehaltenen Polizisten - Marginalien also - genügen, um als Medium von Glietsch mit Gegendarstellungs-, Unterlassungs- und Widerrufansprüchen überzogen zu werden. l5 Mal war das seit 2005 der Fall. Tendenz: stark zunehmend.

Glietsch habe offensichtlich nicht verstanden, dass die Presse ein Eckpfeiler der Demokratie sei, kommentiert dies der Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Klaus Eisenreich. Glietsch weist das zurück. "Als Behördenleiter habe ich die Pflicht, meine Mitarbeiter vor ansehenschädigenden Tatsachenbehauptungen zu schützen" sagt er. Lange Zeit hat Glietsch die Verfahren gewonnen, er musste also nie die Kosten übernehmen. Im April nun hat er gegen die taz erstmals einen Presserechtsstreit verloren. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, muss die Polizei die Kosten von 12.000 Euro tragen.

Denn das Landgericht hat in seinem Urteil unmissverständlich festgestellt, dass der Polizeipräsident als Vertreter einer Landesbehörde nicht ohne weiteres Schadensansprüche gegen die Presse geltend machen könne. Eigentlich müsste dieser Richterspruch genügen, dass Glietsch nicht weiter in solchen Bagatellfällen gegen die Presse vorgeht. Doch daran denkt der Polizeipräsident nicht. Auch die Kosten schrecken ihn nicht: "Dafür gibt es im Haushalt einen Titel, aus dem das bezahlt wird."

Dieses Verhalten passt ins Bild. Leute, die ihm widersprechen, verfolge Glietsch "bis ins Brotfach", sagt indes GdP-Sprecher Eisenreich und beruft sich dabei auch auf vertrauliche Berichte von Kollegen an die Gewerkschaft. Das ist die dunkle Seite des Reformers Glietsch.

Unter seiner Führung ist aus der Großfamilie Polizei, mit ihrem Korpsgeist, ein zumeist reibungslos funktionierender, unterkühlter Apparat geworden. Damit entsprich er den Anforderungen einer modernen, auf Effizienz getrimmten Polizeibehörde. Gleichzeitig riskiert Glietsch, dass der Unmut vieler seiner Mitarbeiter zunimmt - etwa wenn er wie Anfang dieser Woche seinen Wachschützern mit einer Notdienstverordnung den Streik verbieten möchte und die Gewerkschaft dagegen erfolgreich vor Gericht geht - und auch das überhaupt nicht einsieht. Glietsch: "Es gibt Leute, die ärgert möglicherweise, dass ich meine Behörde führe." Und es gibt Leute, die unter Führung noch etwas anderes verstehen.

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