■ Berlins Innensenator Schönbohm (CDU) verläßt seinen Posten: Eine Stadt atmet auf
Eine gute Woche für Berlin. Erst am Montag wehte eine sanfte rot-grüne Brise vom Rhein an die von Großer Koalition gequälte Spree. Die Hoffnung auf Wechsel ließ sich – ein knappes Jahr vor den nächsten Abgeordnetenhauswahlen – auch in Berlin spüren. Gestern nun verkündete Jörg Schönbohm, seines Zeichens amtierender christdemokratischer Innensenator, daß er sein Amt in Berlin aufgibt. „Freiheit statt Nationalismus“, könnte man kommentieren.
Die zerrüttete Brandenburger CDU will den politischen Haudegen haben. Kann sie, heißt es in den Straßen der Hauptstadt. In Berlin wird dem Nationalkonservativen kaum jemand eine Träne nachweinen. Wie nur wenigen ist es Jörg Schönbohm gelungen, es sich mit allen zu verderben: mit HausbesetzerInnen, Linken, AntifaschistInnen sowieso. Aber auch mit einem großen Teil der Berliner nichtdeutscher Herkunft, den Angestellten im öffentlichen Dienst, deren oberster Chef er ist. Und nicht zuletzt mit dem führenden Flügel der Berliner CDU.
Seit seinem Amtsantritt im Januar 1996 wütet der Bonner Import gegen das, was Berlin einmal auch ausgezeichnet hat. Besetzerfrei wollte er die Hauptstadt machen. Und ohne Rücksicht auf Verluste hat er seine Drohung auch wahr gemacht. Auch in der Ausländerpolitik hat sich der Innensenator als Scharfmacher hervorgetan: Multikulti – in Berlin wie andernorts längst Realität – bezeichnet er als ideologischen Kampfbegriff. Bezirke mit hohem Ausländeranteil denunzierte er kurzerhand als „Ghettos“ und versprach in schönhuberscher Manier, sie „auszutrocknen“. Den starken Worten folgten entsprechende Taten: Per Zuzugssperren für Nichtdeutsche wollte Schönbohm das ethnische Gemisch in Berlin-Kreuzberg oder Berlin-Tiergarten steuern. Als Vorreiter hat sich Jörg Schönbohm auch mit seinen rücksichtslosen Abschiebungen nach Bosnien hervorgetan. In der Berliner Union schließlich ließ er sich zum Hoffnungsträger einer stramm konservativen Garde küren, die am Stuhl des liberaleren Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen sägen wollte.
„Dank an Jörg Schönbohm“, erklärte gestern der Berliner innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Roland Gewalt. Nach Schönbohms gestriger Entscheidung kann man sich da nur anschließen: Vielen Dank, Jörg Schönbohm. Was Berlin nun braucht, ist ein Innensenator, der den Herausforderungen einer modernen westeuropäischen Großstadt gewachsen ist und nicht nur seine kleinbürgerlichen und kleingeistigen Ressentiments pflegt. Barbara Junge
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