Berlins Grünen-Fraktionschefs: „Nicht die besseren Linken, sondern die besten Grünen sein“
Bettina Jarasch und Werner Graf wollen ach der Abgeordnetenhauswahl 2026 wieder regieren. Die CDU als Partner schließen sie trotz aller Kritik nicht aus.
taz: Frau Jarasch, Herr Graf, die für die Grünen ernüchternde Bundestagswahl liegt knapp zwei Monate zurück. Ist die Erklärungssuche für Ihre Verluste abgeschlossen?
Bettina Jarasch: Für uns ist eines ganz klar: Es braucht Grüne mit einer klaren Haltung, die zu dem stehen, wofür es uns braucht, die nicht weichen und auch nicht rechten Diskursen hinterherlaufen. Das ist aber etwas, was für uns in Berlin eigentlich schon immer galt. Und daran halten wir auch fest.
Bettina Jarasch, 56, Spitzenkandidatin bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 und 2023, war bis zur Bildung der schwarz-roten Koalition im April 2023 Verkehrssenatorin und ist seither Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Werner Graf, 44, rückte bereits 2022 in die Doppelspitze der Fraktion. Wie Jarasch in früheren Jahren war er zuvor fünf Jahre Vorsitzender des Grünen-Landesverbands.
taz: Und was ist die Konsequenz daraus, auch Richtung Abgeordnetenhauswahl 2026?
Werner Graf: In der Analyse ist man nie fertig, so schnell wie die Welt sich heutzutage ändert. Wir müssen uns daher auf unsere eigenen Stärken besinnen. Das heißt für uns: Wir müssen nicht die besseren Linken sein, sondern die besten Grünen.
taz: Das heißt was genau?
Jarasch: Natürlich müssen wir auch in der Sozialpolitik etwas anbieten. Das werden wir auch tun. Beim Thema Wohnen und Mieten beispielsweise mit der Lizenz zum Vermieten und unserem Gesetz für bezahlbare Mieten. Aber vor allem müssen wir auf unsere Schwerpunktthemen gehen. Das ist Klimaschutz, das ist die Verkehrswende, das ist die Verteidigung der offenen Gesellschaft und der Demokratie. Da werden wir gebraucht. Da müssen wir Haltung zeigen und da müssen wir die besten Grünen sein.
taz: Bei einer Wahlauswertung klang es aber so, als ob der bei der Grünen bundesweit ohnehin schon links eingeordnete Berliner Landesverband noch linker werden müsste, direkt abgeleitet von den Wahlerfolgen der Linkspartei.
Graf: Ich bleibe dabei: Wir wollen die besten Grünen werden, und da sind wir uns einig.
taz: Es gab nach der Wahl auch Leute, die gesagt haben: Dieser Mitte-Kurs von Robert Habeck, der war schon richtig, wir haben den nur nicht überzeugend rübergebracht. Was halten Sie denn davon?
Graf: Ich bin kein Freund davon, zu sagen: Wir müssen jetzt radikal nach links oder müssen mehr in die Mitte. Ich glaube, wir überzeugen dann, wenn wir unsere Themen nach vorne stellen. Der Klimawandel ist das zentrale Problem unserer Zeit, das wir angehen müssen. Das klappt aber nur, wenn wir gleichzeitig dafür sorgen, dass die Menschen mit wenig Geld im Geldbeutel nicht unter die Räder kommen. Gerade jetzt werden wir Grüne mit einem ökosozialen Ansatz so sehr wie nie gebraucht.
taz: Nun ist die Linke aber in dem Wählerspektrum erfolgreich gewesen, um das Sie auch warben. Sie sind da also Konkurrenten. Passt es dann, wie bisher im Abgeordnetenhaus weiter gemeinsame Anträge mit der Linksfraktion zu stellen? Müssen Sie sich Richtung 2026 nicht abgrenzen?
Jarasch: Als grüne Oppositionsführung schauen wir weniger auf die Linke, sondern wir setzen uns mit einer schwarz-roten Regierung auseinander, die keinen Plan hat, wie es eigentlich mit Berlin weitergehen soll. Das wird ja immer deutlicher. Sie hat keine Antwort auf die Frage, wie das Leben bezahlbar bleiben kann, sie hat außer Rückabwicklung auch keine eigenen Alternativen für eine Verkehrswende entwickelt. Und in Sachen Klimaschutz ist sie ein Totalausfall. Die CDU muss immer mehr ihrer hemdsärmeligen Versprechen aus dem Wahlkampf 2023 wieder einkassieren, während die SPD ihren sozialen Markenkern verliert.
taz: Na, die SPD hat bei den Kürzungen im Haushalt ihr Konzept der Gratis-Stadt etwa bei Schulessen und Kita erfolgreich verteidigt.
Graf: Also, ich weiß nicht, ob das wirklich sozial ist, wenn Schwarz-Rot den Preis für das Sozialticket für Bus und Bahn von 9 auf 19 € mehr als verdoppelt, gerade für Menschen, die es am schwersten in dieser Stadt haben.
taz: Unter Rot-Rot-Grün und Rot-Grün-Rot kostete das Ticket aber bis Anfang 2023 sechs Jahre lang noch mehr, nämlich 27,50 Euro.
Graf: In der Regierung mit Grünen und Linken wurde der Preis des Sozialtickets gesenkt, um den Menschen mit dem wenigsten Geld in der Stadt mehr Mobilität und somit Teilhabe zu ermöglichen. Und von den Kürzungen bei der Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt oder den vielen anderen kleinen sozialen Trägern haben wir noch gar nicht gesprochen.
taz: Was heißt das denn nun für die bisherige Kooperation bei Anträgen mit der Linksfraktion?
Jarasch: Es gibt Themen, wo es sehr gut ist, wenn die demokratische Opposition zusammenarbeitet, auch um bestimmte Kritikpunkte stärker zu machen. Ansonsten kann ich nur sagen, dass Ihr Eindruck täuscht: Die allermeisten unserer Anträge sind grün pur.
taz: Vergangene Woche bei einem kleinen Landesparteitag hieß es mehrfach selbstbewusst: „Wenn wir ab 2026 wieder regieren …“ – mit wem wollen Sie das denn machen?
Jarasch: Wir wollen tatsächlich gerne wieder Verantwortung übernehmen und dafür werben wir in der Stadtgesellschaft. Wir wollen wieder regieren, weil wir im Unterschied zu der Koalition, die wir jetzt gerade erleben, einen Plan haben. Weil wir wollen, dass Berlin bezahlbar bleibt. Wir wollen, dass Berlin deutlich grüner wird, damit wir im Klimawandel geschützt sind. Wir wollen, dass man im Straßenverkehr sicher und gut unterwegs ist, genauso wie in der U-Bahn. Und wir stehen dafür, dass Berlin stabil demokratisch bleibt.
taz: Ja, aber mit wem all das? Mit der CDU? Oder mit SPD und Linken?
Jarasch: Wir haben schon vor einigen Jahren miteinander beschlossen, dass wir uns dafür Optionen erarbeiten wollen. Optionen, Plural, mehrere also.
taz: Die Frage ist dann bloß: Wer wird 2026 das prägende Gesicht der Grünen? Wer also Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat? Da sind Sie beide im Gespräch, die Noch-Bundesministerin Lisa Paus und Ex-Finanzsenator Daniel Wesener.
Jarasch: Wir haben noch Zeit und werden gemeinsam ein Angebot machen, das am besten zu Berlin und auch zu uns Grünen passt.
taz: Unter den vier Genannten sind zwei Männer. Jetzt rein theoretisch: Ginge das überhaupt in einem Landesverband, der bislang immer nur Frauen an der Spitze der Kandidatenliste hatte?
Graf: Wir können uns nur wiederholen …
taz: Warum so zurückhaltend? Auf der Grünen-Internetseite steht doch schon der „Call for Papers“, der Aufruf, sich mit Ideen fürs Wahlprogramm einzubringen. Warum dann nicht auch ein offener „Call for People“?
Jarasch: Da können Werner Graf und ich jetzt im Chor antworten, Herr Alberti: Sie können sicher sein, dass wir das rechtzeitig entscheiden, um Berlin ein passendes grünes Angebot zu machen. Zum richtigen Zeitpunkt.
taz: Ein Beschluss zu mehreren Optionen hin oder her: Bei einer Wahl-Nachlese Anfang März war von Offenheit für die Option Schwarz-Grün nicht viel zu spüren, hingegen viel Sympathie, wieder mit SPD und Linken zusammenzugehen.
Jarasch: Es gab ja genau genommen in Berlin seit der Wiedervereinigung immer eine Mehrheit für Rot-Grün-Rot, in welcher Kräfteverteilung auch immer. Die Bundestagswahl hat das nur allen erneut ins Gedächtnis gerufen. Wir arbeiten daran, dass wir mehrere Optionen haben. Und dabei bleiben wir auch.
taz: Eine Koalition wäre ja sogar aktuell im Abgeordnetenhaus möglich.
Graf: Das ist ja 2023 auch nicht an uns gescheitert. Das, was Friedrich Merz Ende Januar gemacht hat, dass er im Bundestag die Brandmauer zwischen der CDU und der AfD eingerissen hat, das ist für uns ein wirklich großes Vergehen an der Demokratie. Das steckt noch wahnsinnig in den Knochen, und dass man in dieser Situation nicht freudig dazu aufruft, mit der CDU zusammenzugehen, das muss jedem verständlich sein.
taz: Berlins CDU-Chef Kai Wegner fand das Merz-Manöver doch auch nicht gut.
Graf: Ich glaube auch, dass Kai Wegner nicht der beste Freund von Friedrich Merz ist und auch nicht immer Friedrich-Merz-Politik macht.
taz: Wenn Sie auf die Finanzlage Berlins schauen oder auf jene Studie, der zufolge 108 Milliarden Euro nötig wären, um die öffentliche Infrastruktur in Ordnung zu bringen: Welches Adjektiv beschreibt dann Ihre Gemütslage?
Jarasch: Entschlossen.
Graf: Entschlossen
taz: Entschlossen? Kein bisschen enttäuscht, frustriert, machtlos?
Jarasch: Entschlossen sage ich deshalb, weil es ja Möglichkeiten gibt, über Transaktionskredite, aber auch über andere Einnahmemöglichkeiten, an mehr Geld zu kommen. Und dazu die Gelder, die jetzt vom Bund für Investitionen in die Infrastruktur kommen. Diese Möglichkeiten gibt es, und wir sind fest entschlossen, sie alle zu nutzen. Enttäuscht bin ich nur, weil ich bei Schwarz-Rot den nötigen Plan dafür vermisse.
taz: Und Sie haben diesen Plan?
Graf: Natürlich ist nicht die komplette Stadt in fünf Jahren fertig saniert. Aber wir müssen es gezielt und schnell angehen. Es ist ein Fehler, die BVG in die Krise zu sparen. Wir brauchen mehr Wagen für die U-Bahn statt neuer Linien auf dem Papier, die nie kommen. Und die Feuerwehr und Polizei braucht sanierte und gute Gebäude statt ein Museum oder Olympische Spiele. Die Luftschlösser von CDU und SPD sind alle geplatzt. Wir brauchen endlich eine seriöse Politik, die die Prioritäten auf das Funktionieren der Stadt setzt.
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