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Berlins BrutalInkassoMit einem Lächeln im Gesicht

Zu hause bei FremdenVonMiguel Szymanski

Anfang der Woche zollte Joachim Gauck dem neuen portugiesischen Präsidenten, Marcelo Rebelo de Sousa, der zu einem Staatsbesuch nach Berlin kam, „großen Respekt“ für die „Entbehrungen und Leistungen“ der Portugiesen während der letzten fünf Krisenjahre. Mit Entbehrungen meinte Bundespräsident Gauck wahrscheinlich das Elend, in das die Krise und die Sparpolitik das Land gestürzt haben. Der Ausdruck „Leistungen“ dagegen, wenn als etwas Positives gemeint, kollidiert mit der Wirklichkeit Portugals und den neuesten Berichten des Internationalen Währungsfonds.

Wenn Gauck dann noch abschließend dem portugiesischen Staatspräsidenten sagt, er hoffe, „dass Sie diesen Weg weitergehen können und die Menschen in Ihrem Land die Früchte dieser Anstrengungen ernten werden“, ist es das offizielle „Erfolgsnarrativ“, das in Deutschland völlig an der portugiesischen Wirklichkeit vorbei hartnäckig verbreitet wird, entweder – je nach dem, wer die Mär von sich gibt – aus Ignoranz oder aus Zynismus.

Denn das Land steht wegen der von Deutschland durchgesetzten radikalen Sparmaßnahmen schlechter da als zu Anfang der Krise, wie inzwischen auch der Internationale Währungsfonds in einer letzte Woche veröffentlichten Studie bestätigt. Der Schuldenberg ist seit Anfang der Krise immens gewachsen, die Wirtschaft geschrumpft und eine halbe Million Menschen mussten vor der Armut und der Arbeitslosigkeit ins Ausland fliehen. Der portugiesische Präsident kam als verzweifelter Schuldner und Bittsteller um Stundung nach Berlin.

Während Gauck redet, will Berlin, der größte Gläubiger der Schuldenstaaten, zusätzlich harte Sanktionen gegen Portugal und Spanien durchboxen, weil die Obergrenze des Defizits wieder nicht eingehalten wurde, nicht eingehalten werden konnte. Nicht weil die iberischen Regierungen es nicht wollten, sondern weil es die von Berlin aufgezwungene Sparpolitik in den letzten fünf Jahren technisch unmöglich gemacht hat.

Seit vergangener Woche liegt die explosive Langzeitstudie des Internationalen Währungsfonds vor, die der portugiesische Präsident sicherlich mitgenommen hat, aber die in Berlin niemand wahrnehmen will. Nun ist es nämlich offiziell: Berlin hat das letzte halbe Jahrzehnt eine grundfalsche Eurokrisenpolitik betrieben.

Es gebe „starke Beweise“, schrei­ben die Chefökonomen des IWF, dass die Südeuropa abverlangte Kürzung der Staatsausgaben und die Reformen das Wachstum „erheblich gesenkt“ und die Ungleichheiten in diesen Ländern verschärft haben. Diese Ungleichheiten wiederum bewirkten eine „Feedbackschleife“, eine weitere Drosselung „sowohl des Niveaus als auch der Dauer des Wachstums“.

Was der IWF hier nachweist: Die deutsche Austeritätspolitik ist nicht nur von Anfang an falsch gewesen, sie verschlimmert und verlängert sogar die Krise und das Elend im Süden.

Die meisten meiner Freunde und ehemaligen Kollegen in Lissabon leben jetzt in Armut, weil sie ihre Schulden nicht mehr abzahlen können. Das, was von der portugiesischen Industrie übrig geblieben ist, wird von deutschen und anderen ausländischen „Investoren“ zu Spottpreisen aufgekauft. Berlin hat mein Land plattgewalzt, Panzer hätten keinen besseren Job gemacht.

Offiziell hat der portugiesische Präsident Anfang der Woche Merkel und Gauck darum gebeten, Wohlwollen walten zu lassen, denn Portugal ist wirtschaftlich und finanziell ruiniert. Er hätte vielleicht eher eine Entschädigung wegen menschenverachtenden Brutal­inkassos verlangen sollen.

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