Berlins Bildungssystem: Fixe Schulreform dank Wirtschaftskrise
Berlin erfindet eine neue Schulart: die Sekundarschule. Und weil Geld aus dem Konjunkturpaket da ist, geht die Umsetzung plötzlich ganz schnell.
BERLIN taz Eine grundlegende Reform des Berliner Schulsystems: Dieser Auftrag der rot-roten Regierung an Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) stand schon am Anfang seiner Amtszeit im Januar 2007 fest. Berlin wollte - wie andere Pisa-Verlierer auch - von den Gewinnerländern der internationalen Bildungsstudie lernen und plante deshalb die Einführung einer Gemeinschaftsschule, an der Kinder länger als bisher gemeinsam lernen sollten.
Zwei Jahre hat es gedauert, bis der sozialdemokratische Senator nun seinen Reformplan vorlegte. Zur Zusammenlegung aller Oberschulen zu "einer Schule für alle", von der vor allem die Linke träumte, konnte sich Zöllner nicht entschließen. Der Widerstand gegen die Abschaffung des Gymnasiums war auch in Berlin groß und erfolgreich.
Nicht Gemeinschafts-, sondern Sekundarschule heißt deshalb nun Zöllners neue Schulform: Sie soll Haupt-, Real- und Gesamtschulen vereinen, alle Abschlüsse bis zum Abitur anbieten, anders als das Gymnasium aber differenzierteren Unterricht, gezieltere Förderung und praxisorientierteres Lernen anbieten. Sekundarschulen sollen Ganztagsschulen sein und mindestens vier Klassen pro Jahrgang haben.
Damit die neue Schulform nicht tatsächlich - wie ihr Name nahelegt - zur "Schule zweiter Wahl" wird, auf denen sich die versammeln, die es nicht aufs Gymnasium geschafft haben, will Zöllner auch jenes reformieren. Gymnasien sollen schlechte SchülerInnen nicht mehr auf andere Schulformen "abschulen" können: Wer drin ist, ist drin, heißt die Devise und zwingt auch die Gymnasien zu besserer Förderung. Im Gegenzug sollen sie künftig bei der Auswahl ihrer SchülerInnen mitreden dürfen. Bisher können in Berlin allein die Eltern entscheiden, auf welche Schule ihr Kind nach der Grundschule kommt.
Dass die Umsetzung dieser Pläne an Tempo gewinnt, verdankt der Bildungssenator der Wirtschaftskrise. Das Konjunkturpaket II ermöglicht Berlin, den Umbau der Schullandschaft schnell zu finanzieren: Das Geld - für die Schulen fast 200 Millionen Euro - muss bis Ende nächsten Jahres ausgegeben sein.
Der Zeitdruck führt dazu, dass der Geldregen keineswegs nur für Freude sorgt. Ausgerechnet aus den Bezirksverwaltungen, die sonst gerne über Unterfinanzierung durch den Senat klagen, kommt Protest. Kaum überraschend: Erst am 10. Februar stimmte der Senat Zöllners Schulplänen zu, die Zustimmung des Parlaments, die die Reform erst rechtsgültig macht, steht noch aus. Doch mussten die Bezirke bereits bis Mitte Februar festlegen, wie sie die Konjunkturmillionen verwenden. "Wir arbeiten im Blindflug", sagt die Friedrichshain-Kreuzberger Bildungsstadträtin Monika Hermann (Grüne), die wie ihre KollegInnen in anderen Bezirken mit der Festlegung der Gelder auch entscheidet, welche Schulen sie schließt. Denn nicht alle bieten die nötigen räumlichen Voraussetzungen für die Schulreform.
Zöllners Tempo macht auch die Eltern nervös. Sie sorgen sich vor allem ums Gymnasium: Wie dessen Zugangsbedingungen künftig aussehen werden, ist bislang unklar: Soll der Notendurchschnitt entscheiden oder eine Aufnahmeprüfung? Soll - wie von der Linkspartei ins Spiel gebracht - eine Sozialquote 30 Prozent der Plätze jedes Gymnasiums für Kinder aus Familien reservieren, die von öffentlicher Unterstützung leben?
Offen sind auch Eckdaten der neuen Sekundarschule: Etwa, wie viele SchülerInnen in einer Klasse sitzen sollen. Pessimistisch klingt daher die Einschätzung von Berlins oberstem Elternvertreter André Schindler: Ob die Reform auch die Unterrichtsqualität verbessern werde, sei nicht absehbar.
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