Berliner Wirt angeklagt: Tod aus der Tequila-Flasche
Vor dem Berliner Landgericht beginnt ein Prozess gegen einen Wirt, der einem Schüler 45 Glas Tequila verabreichte. Der 16-Jährige fiel ins Koma und starb.
An einem Sonntag im Februar 2007 betritt der Gymnasiast Lukas W. gegen vier Uhr die Bar Eye T in Berlin-Charlottenburg. Ein Wetttrinken gegen den Wirt beginnt. Lukas W. schüttet in knapp einer Stunde 45 Gläser Tequila in sich hinein, während sein "Gegner", Aytac G., heimlich überwiegend Wasser trinkt. Als Rettungssanitäter den 16-Jährigen morgens gegen halb acht abtransportieren, funktioniert nur noch sein Atemreflex. Lukas W. fällt ins Koma und stirbt fünf Wochen später.
Seitdem sind zwei Jahre vergangen. Der Vorfall erschütterte die ganze Republik. In Reaktion auf den Tod von Lukas W. verbot der Bund-Länder-Ausschuss für Gewerberecht im Jahr 2007 "Flatrate-Angebote" von Alkohol: Sie verstoßen gegen das Gaststättengesetz, das die Abgabe alkoholischer Getränke an Betrunkene verbietet. Wer dennoch solche Veranstaltungen ausrichtet, kann seine Gaststättenerlaubnis verlieren.
Am Mittwoch beginnt vor dem Berliner Landgericht der Prozess gegen den heute 28-jährigen Wirt Aytac G. - wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Im Verfahren werden dem früheren Gaststättenbetreiber weitere Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz vorgeworfen. In über 170 Fällen soll er von 2005 bis 2007 Alkohol an Kinder und Jugendliche ausgeschenkt haben. Er war sechs Monate in Untersuchungshaft und war zwischenzeitlich gegen Meldeauflagen freigekommen.
In zwei weiteren Prozessen mussten sich wegen des Vorfalls bereits vier Jugendliche vor Gericht verantworten. Sie sollen bei dem Wetttrinken dabei gewesen sein. Ein 18- und ein 21-Jähriger wurden im Februar 2008 wegen Beihilfe zur Körperverletzung schuldig gesprochen - sie hatten Lukas W. den Alkohol eingeschenkt und dabei Strichliste geführt. Sie müssen einen 70-stündigen sozialen Trainingskurs absolvieren. Das Verfahren gegen eine damals 16-jährige Serviererin wurde vor einem Monat wegen "geringen Mitverschuldens" eingestellt. Die junge Frau muss aber einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren. Ein damals 17-jähriger Angeklagter wurde von den Vorwürfen freigesprochen.
Weil die vier Jugendlichen bereits verurteilt sind, verfügt die Staatsanwaltschaft für den Prozess gegen Aytac G. nun über wichtige Zeugen, die sonst vor Gericht hätten schweigen dürfen. Ihre Aussagen werden dringend benötigt, denn der ehemalige Wirt hat verschiedene Versionen zum Verlauf des Abends erzählt. Etwa die, der Gymnasiast sei schon betrunken im Eye T erschienen. Später sagte er, Lukas W. sei überraschend aufgetaucht und habe ihn bedrängt. Den Betrug will er nicht veranlasst haben. Er habe vielmehr darum gebeten, dem Gymnasiasten ein Glas Wasser zu servieren, damit der vom Weitertrinken abgehalten werde.
Die Jugendlichen, die beim Wetttrinken dabei gewesen waren, hatten zunächst geschwiegen und teilweise Aytac G. bestätigt - aus Loyalität gegenüber dem älteren Freund. Erst in ihrem eigenen Prozess schilderten sie eine schlüssige Version.
Danach hatte der Wirt eine leere Tequilaflasche mit Wasser gefüllt. Etwa 16 Runden bekam der Wirt Wasser und der Neuntklässler Tequila. Dann soll die 16-jährige Serviererin die Gläser verwechselt haben. "Schmeckt wie Wasser", stellte der Gymnasiast fest.
Erst dann wurde die Tequilaflasche offen auf den Tisch gestellt. Schnell trank Aytac G. fünf Gläser hintereinander, um den Betrunkenen zu provozieren. Der Gymnasiast versuchte, den Vorsprung aufzuholen, bis er nach der 44. Runde mit dem Kopf auf dem Tresen lag. Aytac G. verließ seine Bar mit dem Hinweis, die Zurückbleibenden mögen sich um Lukas kümmern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben