Berliner Türken zu Israel: "Sie wollten doch nur helfen!"
Hörer eines türkischsprachigen Radiosenders streiten über den Angriff auf den Gaza-Hilfskonvoi.
Nüchtern, schmucklos sehen die Räume von Metropol FM aus. Bis auf einen Großbildschirm an der Wand, auf dem ein Nachrichtensender aus der Türkei läuft, weist nichts darauf hin, dass hier eines der Ausnahme-Radioprogramme Berlins produziert wird: Berlins einzige Welle, die rund um die Uhr türkischsprachiges Programm sendet. Türkisch die Musik, türkischsprachig die Sendungen - allein die Nachrichten zur vollen Stunde laufen in türkischer und deutscher Sprache.
Seit einer Stunde moderiert Nizam Namidar die tägliche Nachmittagssendung. "Paydos Keyfi", "Feierabendstimmung" heißt das vierstündige Programm aus Musik, Gewinnspielen und einer ziemlichen Menge an Werbung, mit der sich das Privatradio finanziert. Ein typisches Gute-Laune-Privatsender-Nachmittagsprogramm.
An diesem Tag ist Nizam Namidar, Radiomoderator mit langjähriger Erfahrung und ausgebildeter Schauspieler, nicht ganz so entspannt wie sonst. Zwei Stunden lang diskutiert er täglich in seiner Sendung mit HörerInnen aktuelle Themen: Die Sparmaßnahmen der Bundesregierung waren es am Montag. An diesem Dienstag hat ein anderes Thema Priorität: der Angriff israelischer Soldaten auf Schiffe, die Hilfsgüter nach Gaza bringen wollten. Die meisten der dabei Getöteten waren Türken. "Wir kommen um das Thema nicht herum", sagt Namidar - ganz wohl ist der Redaktion dabei nicht.
Mit jedem Anrufer - es sind nur Männer - spricht Namidar deshalb ausführlich, bevor er ihn "auf Sendung" lässt. Keine Beschimpfungen, keine israelfeindlichen Parolen, so lauten die Regeln, die der Moderator ausgibt. Doch das ist gar nicht nötig, wie sich zeigt: Die Mehrheit der Hörer ist betroffen von den Ereignissen - und differenziert in deren Beurteilung.
Er sei sehr traurig über den Tod der Menschen auf den Schiffen, sagt etwa ein Mustafa-Bey: "Sie wollten doch nur helfen!" Das Embargo müsse aufgehoben werden, fordert er und kritisiert vorsichtig die Politik der türkischen Regierung gegenüber Israel: Die Türkei lasse sich "auf ein gefährliches Spiel" ein.
Ein anderer wird deutlicher: An der Eskalation sei auch der türkische Ministerpräsident Erdogan schuld, meint er. Der habe die Provokation Israels gewollt: "Israel dagegen wollte mit der Türkei befreundet sein." Der verhaltenen Reaktion der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die Attacke auf die Hilfsschiffe messen die Anrufer indes nur wenig Bedeutung zu. Sie müsse ja so reagieren, meint einer: "Das ist normal für Deutschland."
Nur ein einziger Anrufer spricht von "Hass auf Israel" und wünscht "Allahs Bestrafung" - er wird schnell abgedreht. Moderator Nizam Namidar ist dennoch spürbar erleichtert, als die zwei Stunden Hörerdiskussion vorbei sind.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird