Berliner Szenen: „Schwäne, macht mal ’ne Choreo!“
Auf einmal schwimmt eine rosa Trinkflasche auf dem Landwehrkanal. Zwei Kinder weinen bitterlich. Und alle haben Ideen, was zu tun ist.
W enn der Herbst naht, erobern sich die Schwäne den Grünstreifen vorm Urbankrankenhaus langsam zurück. Immer wieder kommen sie aus dem Wasser ans Ufer gesprungflattert, selbst wenn direkt daneben Menschen sitzen.
An diesem Spätsommersamstag sind noch viele Menschen da, und der Nachmittag plätschert so dahin wie die Wellen des Landwehrkanals. Bis auf einmal eine rosa Plastikflasche im Wasser schwimmt und ein kleines Kind bitterlich weint. Die Mutter versucht, die Flasche rauszufischen, aber sie ist zu weit weg.
Die Schwester des Kindes kommt dazu, sie fängt ebenfalls an zu heulen, als wäre die Welt untergegangen. „Es ist nur eine Flasche. Wir haben die noch in blau“, tröstet die Mutter. Vergebens.
Leute kommen, wollen helfen. Ein Mann versucht es mit einem Ast, aber inzwischen ist die Flasche noch weiter abgetrieben. „Schwäne, macht mal ’ne Choreo!“, ruft eine Frau. „Und wenn mutiger Hund …?„, sagt eine andere. „Vielleicht ist die Flasche im Winter noch da und wir können sie dann holen“, schlägt ein kleines Mädchen vor.
Der Heulkrampf geht weiter, über eine Viertelstunde geht er schon, immer, wenn ein Kind kurz aufhört, wird es vom anderen wieder an den Verlust erinnert. „Ich versuche euch ja ernst zu nehmen. Aber. Es. Ist. Nur. Eine. Flasche“, sagt die Mutter. Der Mann mit dem Ast kommt wieder, er hat von einem Baum einen meterlangen Seitenarm abgebrochen, doch die Flasche ist noch weiter in die Kanalmitte getrieben. Gemein.
Ein Schiff fährt vorbei, vielleicht helfen die Wellen? Sie helfen nicht. „Wollen wir der Flasche Adieu sagen?“, fragt die Mutter die Kinder. Sie wollen nicht. Da taucht auf einmal ein Rudel Kajaks auf. „Wäre lustig, wenn sie die Flasche jetzt einfach mitnehmen würden“, sagt eine Frau. Sie tun es nicht. Sie bringen die Flasche zurück. Es gibt Szenenapplaus und dann geht auch bald die Sonne unter.
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