Berliner Szenen: Immer neu in Neukölln
Das Gelbe vom Ei
„Wie kann es sein“, fragt man sich im Stillen und bei einem kleinen Schultheiss, Hasenheide gegenüber Karstadt, „wie kann es sein, dass nach fast achtzehn Jahren in Neukölln ab und an dieses Gefühl in einem aufzieht, als sei man just frisch zugezogen?“
Ja, wie kann es sein, wo doch am Nebentisch draußen in der Bierkneipe Brinks (Motto: „Täglich von 9 bis 2 Uhr, sehr oft noch viel länger …“) und in güldener Abendsonne ein schütterer Mann mit Strohhut und Zigarre referiert, wie ältere Berliner eben gerne referieren.
„Also Karstadt, det wa irgendwie schicker früher, aber wat sollense machen. Siehste, da gegenüber, da wa der Pförtner von det Janze, da konnte man die Kinderchen abgeben. Und auf der ersten Etage, da jab et um siebszen Uhr Tee mit eenem Klavierspieler, weeste noch?“
„Nee“, antwortet seine weibliche Begleitung, älteres, mahagonifarbenes Haar, „nee, det wa Hertie, weita unten in der Karl-Marx. Aber beim Einjang zur U7 unten bei Karstadt, da hattn se janz viel Boxen mit Tieren zu stehen, so eingesperrt. Also die Tiere sin alle wech. Is ja richtig, wa, aber die Hunde, Mensch, det wa was!“
Auf dem Trottoir nähert sich ein jüngerer Mann mit Klopapierkauf in der Hand und Motto auf dem Shirt: „Kein Mensch ist illegal“. Die Sonne plumpst in eine knallrosablühende Rosskastanie rein, nun sieht sie aus wie das Gelbe vom Spiegelei und ihre Strahlen lassen das Hutband des Biertrinkers aufblitzen, es ist schwarzrotgold. Ein Schwarzer geht an einem vorbei, seine Augen leuchten von der Spiegeleisonne, er wünscht „Prost“.
Immer noch nicht weiß man, warum man sich nach fast achtzehn Jahren Neukölln ab und an immer noch wie frisch zugezogen fühlt. Wahrscheinlich ist das die Antwort. Harriet Wolff
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