Berliner Szenen: Wochenendlich müde
Laterne, Laterne
Freitagabends im Aldi. Also eigentlich ist es gerade mal vier, aber die Abende beginnen eben früh im Januar. Die Leute kaufen ein, als ob sie seit Monaten nichts zu essen bekommen hätten. Dabei ist Weihnachten gerade zwei Wochen her.
Eine Mutter fährt ihre etwa dreijährige Tochter im Einkaufswagen spazieren. Die Mutter sieht wochenendlich müde aus. Das Kind scheint zufrieden. Gut gelaunt singt es vor sich hin: „Laterne, Laterne“. Die Mutter atmet hörbar aus. Wie schön, Kinder zu haben!
Auch immer schön, wenn das Kind einen Wutanfall kriegt. Passiert ja auch gern in Supermärkten. Ständig liegen irgendwelche schreienden Kinder rum, die mit Armen und Beinen strampeln.
Einmal war ich bei Aldi, da war auch ein kleines Kind, das saß vorne im Einkaufswagen, die Mutter schob, das Kind war höchstens anderthalb. „Hallo Mama“, sagte das Kind, „Hallo Emil“, sagte die Mutter. Das Spiel spielten sie eine Weile. „Hallo Mama“ – „Hallo Emil!“ Man braucht Ausdauer, um Kinder zu haben, dachte ich. Die Mutter beugte sich nach vorn, wollte etwas aus dem Regal nehmen. Ihre Jacke war offen. Sie beugte sich weiter vor. Dann plötzlich beugte Emil sich nach vorn und rief in den Ausschnitt seiner Mutter: „Hallo, Mama!“
„Laterne, Laterne“, trällert das Kind. Keine Mama in Sicht. Die Mutter hat die Jacke zu. Eine andere Mutter kommt vorbeigeschoben. Vorne drin ein Junge im selben Alter. „Laterne, Laterne“, singt das Mädchen. Die Mütter bleiben stehen, die beiden Kinder schauen sich an, dann schieben die Mütter weiter. Als wäre ein Masernvirus übertragen worden, schallt es jetzt aus zwei Richtungen durch den Supermarkt: „Laterne, Laterne“!
Kinder müsste man haben.
Lea Streisand
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