piwik no script img

Berliner SzenenDie langlebige Laura

Zeitzeuge

Diesen Namen schrieb ich in alle Kleidungsstücke

Bügeln ist ein notwendiges Übel. Meistens erledige ich das beim Fernsehgucken. Doch neulich konnte kein Fernsehprogramm der Welt gegen die profane Tätigkeit anstinken. Vor mir auf dem Bügelbrett lag nicht nur ein schwarzer kurzärmeliger Strickpullover. Vor mir lag ein Zeitzeuge. Den Pullover hatte ich wenige Wochen nach dem Fall der Mauer gekauft, auf dem Kunstmarkt des 17. Juni. Das Kleidungsstück war eine meiner ersten textilen Errungenschaften im Westen.

Ehrfürchtig stellte ich das Bügeleisen für einen Moment beiseite und strich zärtlich über den Pullover, der mich nun schon ein Vierteljahrhundert begleitete. Ich überlegte, wie viel Westmark ich dafür bezahlt hatte. Ich konnte mich noch daran erinnern, dass ich mir die Investition gut überlegte. Ich denke mal, 80, 90 Westmark werden es wohl gewesen sein. Während ich mich nicht mehr daran erinnern kann, für was für einen Schnickschnack ich mein Begrüßungsgeld ausgegeben habe, muss ich sagen, dass das Geld für den Pullover wirklich gut angelegt war. Auch nach 25 langen Jahren verliert das gute Stück nicht seine Form.

Ich bedauerte, dass ich den Pullover nicht zu einem Glas Wein einladen konnte, um auf unsere langjährige Beziehung anzustoßen. Dafür bügelte ich ihn umso liebevoller und legte ihn in den Schrank. Zuvor hatte ich mir das Schild angeschaut, das innen eingenäht ist. „Laura Gi“ stand da in feinen Buchstaben. Ausgerechnet Laura!

Als ich zehn Jahre alt war, wollte ich nicht mehr Barbara gerufen werden, das schien mir zu lang und streng, sondern Laura. Diesen Namen schrieb ich in alle Kleidungsstücke und Schuhe ­hinein. Diese Laura-Phase hielt im Unterschied zum Laura-Pullover nur einige Monate. Wenn es Laura Gi noch gibt, würde ich mich gern bei ihr für das langlebige Kleidungsstück bedanken. Barbara Bollwahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen