Berliner Szenen: Du musst üben
Nicht zu rund, nicht zu gerade, nicht zu lang. Man muss sich echt verdammt Mühe geben, um nicht auszusehen wie eine Zeichentrickfigur.
#x201E;Ey, wirklich, du musst das anders machen, das ist doch krass!“ Am U-Bahnhof Kochstraße warten zwei junge Frauen auf die U-Bahn und diskutieren dabei ziemlich laut. „So wie du das jetzt machst, geht gar nicht, ich kann das nicht angucken“, sagt die eine. „Rund geht bei mir nicht“, sagt die andere.
Die eine sitzt auf der Bank, sie ist in Grau und Pink gekleidet, ihr Kopftuch ist Silber mit Glitzer. Die andere steht vor ihr. Sie trägt Schwarz und Weiß und macht sich beim Reden mit der Hand in ihren Locken rum.
„Rund kann ich einfach nicht“, sagt sie und schüttelt den Kopf. „Ich kann’s dir beibringen“, sagt die Grau-Pinke, „echt.“ „Aber ich will nicht so wie du“, sagt die Schwarz-Weiße, „das steht mir nicht.“ Die Grau-Pinke seufzt. „Dann bisschen mehr gerade“, sagt sie, „und bisschen länger. Es muss einfach gepflegt aussehen, weißt du.“
„Nein, Mann“, ruft die Schwarz-Weiße, „ich kann nicht malen! Weißt du, wie ich aussehe, wenn ich male? Wie Pumuckl sehe ich aus. Ich hab schon versucht zu malen, aber krass, das geht gar nicht.“ „Ja, weil du üben musst“, sagt die Grau-Pinke, „erst mal nur zu Hause und so.“ „Ja, was zu Hause“, sagt die Schwarz-Weiße, „dann seh ich zu Hause aus wie Pumuckl, echt.“
Die Grau-Pinke schnalzt mit der Zunge, steht auf und stellt sich direkt vor die Schwarz-Weiße. Dann malt sie ihr mit dem Zeigefinger über den Augen entlang, ganz langsam, wie eine Architektin auf einem Bauplan. „Hier so, bisschen dicker, aber nur ganz bisschen, und dann hier hoch, ganz dünn, und hier runter, Ende.“
Die Schwarz-Weiße macht eine beleidigte Schnute. „Ich kann das nicht“, sagt sie, und die U-Bahn fährt ein. „Versuch’s“, sagt die andere, Küsschen, Küsschen, dann geht sie zum Zug und ruft noch aus der Tür, „nur einmal, komm, mir zuliebe.“ Ich steige auch ein und frage mich, ob Pumuckl eigentlich Augenbrauen hat.
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