Berliner Szenen: Klapse als Alternative
Lesungen finden ja immer und überall in Berlin statt. Aber wo führen sie hin? Und was wird aus Schriftstellern? Ein Gespräch unter Experten.
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E ndlich besuche ich mal wieder eine Lesung. Habe ich lange nicht mehr gemacht. Es ist keine Lesebühnen-Lesung, sondern eine mit Anspruch, es geht jedenfalls nicht um Lacher. Im Publikum sind trotzdem lauter junge Leute, Mädchen in Röcken aus den zwanziger Jahren, Jungs in Band-T-Shirts von Metalbands, was ironisch gemeint sein soll. Studierende der Germanistik, vielleicht noch der Kunstgeschichte.
Der Einzige, der heraussticht, ist E., der Senior der Berliner Lyrikszene. Er war schon dabei, als man sich noch in Wohnzimmern jenseits der Mauer traf, in Prenzlauer Berg. In der Pause fachsimpeln wir über die Berufsaussichten für junge Dichter heutzutage, im Vergleich zu damals.
Aus seiner Generation sei er im Grunde der einzig Übriggebliebene, erzählt er. Die anderen, die mit ihm zusammen mit dem Schreiben angefangen hatten, haben sich entweder rechtzeitig in eine bürgerliche Existenz gerettet oder sich sukzessive zu Tode gesoffen. Oder sich sonst wie umgebracht.
Als Schriftsteller erfolgreich wurde eigentlich niemand. Jetzt sei er stets der Älteste, was auch Vorteile hätte: Es gebe keinen ökonomischen Druck mehr, sagt er, es fallen die üblichen Intrigen wegen ausgespannter Sexualpartner, Posten und Stipendien aus – braucht er alles nicht mehr – und es gebe keinen Neid.
Klapse, sagt er noch als weitere Alternative. Freitod, Alkohol, Klapse. Das wären meistens so die Optionen. Der Langzeitstudent ist ja auch schon lange ausgestorben, sagt er noch. „Die Kunst des ausgehenden 21. Jahrhunderts ist reiche Kunst von reichen Künstlern für Reiche“, zitiere ich einen Satz, den ich kürzlich gelesen habe.
Für den Literaturbetrieb gilt das ungefähr auch, sagt er. Nach der Pause schauen wir einer jungen Dichterin zu. Sie sieht beflissen aus. Besser wäre es wohl, denke ich jetzt, nackt auf einer Abrissbirne zu sitzen.
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