Berliner Sporthallen als Flüchtlingslager: Ausquartierte machen Druck
In Berlin dienen nach wie vor Sporthallen als Obdach für Geflüchtete. Die Sportvereine drängen auf „ein koordiniertes Ausstiegsszenario“.
Jetzt reicht’s den Sportfunktionären allerdings – das haben sie bei einer am Dienstag vom Landessportbund (LSB) anberaumten Pressekonferenz deutlich gemacht. Flüchtlinge raus aus den Hallen, Sportler wieder rein, und zwar möglichst bald! Auf ein „koordiniertes Ausstiegsszenario“ drängen Leichtathleten, Handballer oder Volleyballer. Parallel zum LSB haben sieben Vereine und drei Verbände ein Volksbegehren gestartet. Das Ziel ist dasselbe, den Weg hält man beim LSB aber für falsch. „Das würde viel zu lange dauern“, sagt Präsident Klaus Böger.
Er verweist stattdessen auf Bremen, wo man längst dabei sei, dem Sport wieder seine Stammplätze zurückzugeben. In Berlin fühlt man sich derweil überhaupt nicht ernst genommen. Einen „Hallengipfel“ noch in diesem Monat mit führenden Politikern fordert Böger also. Denn: „Es wurde immer gesagt, dass die Unterbringung nur temporär sei. Der Sport braucht Hallen, sonst kann auch keine Integration durch den Sport gelingen.“
Kaweh Niroomand, Sprecher der Berliner Profivereine und Manager der BR Volleys, sagt: „Wir haben den Eindruck, der Senat reagiert überhaupt nicht auf unsere Forderungen. De facto passiert nämlich nichts, es wurde noch keine Halle freigegeben.“
Konkret geht es um 62 von insgesamt 1.000 Hallen. Relativ gesehen ist das nicht viel, die 100 betroffenen Vereine klagen allerdings laut. Die Mitgliederzahlen schrumpften, zusätzliche Fahrtkosten fielen an, mancherorts müsse der Trainingsbetrieb gar eingestellt werden – und Spitzentalente könnten in andere Städte abwandern. Je nach Verein liegen die Beschwerden unterschiedlich.
„Sporthallen sind als Unterkünfte nicht geeignet“
Volleys-Manager Niroomand klagt auf hohem Niveau, sein Verein würde gern die Möglichkeiten im Horst-Korber-Zentrum wieder ausnutzen. Dort stünden den Profis schließlich an einem Ort gebündelt „Kraftraum, Physiotherapie und Sauna zur Verfügung.“ Weil Bizeps aufpumpen, Schenkel kneten und Saunieren derzeit nur dezentral möglich ist, fielen pro Tag „ein bis zwei Stunden mehr an Fahrzeit an“.
Am Horst-Korber-Sportzentrum, wo die Zahl der Flüchtlinge laut Böger von 1.000 auf 100 bis 150 zurückgegangen sei, hängt auch das Herz der Handballerinnen. Verbandspräsident Thomas Ludewig sagt: „Weil nur eine Hallenhälfte nutzbar ist, fallen mindestens 50 Prozent der Talentförderung weg.“ Doch nicht nur die Spitze sei betroffen – gerade im Breitensport schlage sich die verknappte Hallensituation nieder. „Anders als nach dem WM-Titel 2007 ist ein Mitgliederzuwachs nach dem letzten EM-Sieg diesmal nicht möglich.“ Des Weiteren hätten 1.500 Spiele umgelegt werden müssen. Im Hockey hat man das nicht ganz so gut gemeistert. „Wir mussten ein Viertel aller Spiele komplett streichen“, so Verbandspräsident Jürgen Häner.
Wie so viele frage er sich: „Warum werden für die Unterbringung der Flüchtlinge keine alternativen Standorte genutzt? Böger argumentiert ähnlich: „Sporthallen sind als Unterkünfte nicht geeignet.“ Dieser Satz stimmt zwar, so richtig abnehmen mag man ihn Böger aber nicht. Sein Hinweis, Berlins Hallen könnten entlastet werden, weil es ja freie Kapazitäten in Brandenburg gebe, begründet er so: „Dort stehen viele Hallen leer.“
Klar ist für den LSB-Chef jedenfalls, der Berliner Senat möge die Flüchtlinge doch möglichst schnell umquartieren. Tatsächlich sind sogenannte Mufs (modulare Unterkünfte) als Heimat für Geflüchtete bereits in Planung. Die Sportler drängen nun darauf, dass zuerst sie davon profitieren, indem die Hallen freigeräumt werden. Das Horst-Korber-Sportzentrum am besten noch vor dem anvisierten 8. August. „Das halte ich für möglich“, sagt Böger, der weiß, dass nach dem Auszug die meisten Hallen renoviert werden müssen. Die Sportler haben nun bemerkt, dass ihnen die Zeit, dies alles zu regeln, davonläuft. Die neue Saison naht, jetzt wird der Druck verstärkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Ineffizienter Sozialstaat
Geteilte Zuständigkeiten
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium
Fußfessel für prügelnde Männer
Europarat beschließt neuen Schutzstatus
Harte Zeiten für den Wolf