Berliner Produzent und Musikförderung: „Was kommt nach digital?“
Der Berliner Produzent Stefan Goldmann bezweifelt, dass Musik im Netz profitabel ist. Lieber bedient er die Nische und lebt von Fördergeldern.
Musiker sind schlecht auf das Internet zu sprechen. Dass ihre Arbeit dort frei zirkuliert, ohne für sie Gewinn abzuwerfen, während sie – von einer Handvoll Ausnahmen abgesehen – mit ihren Veröffentlichungen immer weniger Geld verdienen, sorgt für Unmut. In der Regel verweist man dann auf das Urheberrecht als letztes Bollwerk gegen eine Existenz als Hobby-Musiker.
Der Berliner Stefan Goldmann produziert elektronische Musik und betreibt mit dem DJ und Autor Finn Johannsen das Label Macro. Goldmann hat die Abwärtsbewegung der Branche genau im Blick und kennt sich dank eines Jurastudiums auch in Urheberrechtsfragen aus. Mit seinen Veröffentlichungen setzt er weniger auf Verkaufserfolge als auf Originalität.
Und er setzt schon gar keine Hoffnungen mehr in das Internet als Grundlage für etwaige Geschäftsmodelle: „Alle tun so, als wenn die Zukunft der Musik von irgendeinem Ansatz im Digitalmarkt abhängt, obwohl es eigentlich vom Tisch ist, weil die Leute ihre Inhalte abziehen und sagen: Ich bin jetzt gar nicht mehr hier, ich trete nur noch auf. Eigentlich ist ja die große Frage: Wenn digital nicht funktioniert, was kommt danach? Die stellen sich die wenigsten.“
Dabei ist gerade in seiner Sparte wirtschaftliche Kreativität gefragt: „Das Einkommen von elektronischen Musikern ist so gering wie noch nie“, stellt er trocken fest. Statt zu lamentieren, macht er sich lieber Gedanken über Alternativen. „Interessanterweise gibt es immer noch Leute, die von Musik in Vollzeit leben können. Jetzt gar nicht nur im Superstar-Segment, sondern Spezialisten, die ein eher kleineres Ding abdecken, das sich aber trotzdem halten kann.
Kreative Geldbeschaffung
Dafür gibt es zwei Gründe: Der eine ist deep pocket, also ein Einkommen, das nicht durch Konsumenten zusammenkommt, sondern durch Mittel, die von Entscheidungsträgern wie Stiftungen verwaltet werden. Der andere ist, als Künstler Konzentrationen zu schaffen, wenn man Musik macht. Etwas, das andere nur imitieren können, wenn man diese Kategorie-Führung innehat.“
Als Musiker braucht man also Sponsoren und institutionelle Kulturförderer. So wird Stefan Goldmann am Freitag in Ludwigshafen mit dem casal-Quartett ein Konzert in der von der BASF veranstalteten Reihe „Chill-out“ bestreiten. Im April fährt er ins japanische Kioto als Stipendiat der Villa Kamogawa, einer 2011 eröffneten Künstlerresidenz des Goethe-Instituts.
Stefan Goldmann glaubt, dass man sich künstlerisch durch das Besetzen von Nischen hervortun muss, die bisher von niemand anderem entdeckt wurden. Von dem ganzen mantraartigen Gerede von der Allmacht der Retro-Schlaufe in der Kunst will er überhaupt nichts wissen: „Das ist für mich ein Sport, gerade das vorzuführen, diese Behauptung, dass die Ideengeschichte abgeschlossen ist. Wenn man kleine Sachen findet, reicht es ja schon, um das ins Wanken zu bringen. Es ist ja nicht so, dass einem ständig kolossale Gestaltungsformen ganz neu aufgehen, es sind oft Kleinigkeiten, die ihren Reiz daraus gewinnen, dass sie so simpel sind, dass man es kaum glaubt, dass es noch keiner gemacht hat.“
Nach diesem Grundsatz wählt er auch die Künstler für sein Label Macro aus. Die Wiener „Techno-Tanzband“ Elektro Gruzzi zum Beispiel ist ein Trio aus Gitarre, Bass und Schlagzeug. Wenn man das nicht wüsste, würde man es vielen ihrer Stücke kaum anmerken, so präzise und wenig instrumententypisch spielen die Musiker, dass man meint, programmierte Tracks zu hören. Elektro Guzzi sind eine große Ausnahme in der Sparte „handgemachter Techno“, denn sie haben nicht nur maschinengenaues Timing, sie klingen dabei auch noch richtig gut.
Gegründet hatte Stefan Goldmann sein Label ursprünglich, weil ihm die Verhandlungen mit anderen Labels zu zäh wurden, wenn es um seine Musik ging. Da passte dann mal die B-Seite nicht ins Programm oder wahlweise gleich die ganze Platte. „Irgendwann denkt man sich, das streicht man jetzt alles und macht ein eigenes Label.“
Die ersten beiden Veröffentlichungen waren denn auch Maxis von Stefan Goldmann, die zweite davon, „Lunatic Fringe“, wurde zu einem der größten Verkaufserfolge von Macro – eine Clubnummer, die um ein atonales Chorstück herum gebaut ist.
Strawinskys 146 Schnipsel
Aus dem Hause Goldmann folgten später noch gewagtere Experimente. Sein Album „Igor Stravinsky – Le sacre du printemps (Stefan Goldmann Edit)“ ist eine werkgetreue Version von Strawinskys „Sacre du printemps“, zusammengesetzt aus 146 Schnipseln von 12 verschiedenen Aufnahmen. Eine Sisyphosarbeit, in der eine ordentliche Portion konzeptuelle Ironie steckt.
Die Nähe zur klassischen Moderne kommt für den 1978 in Ostberlin geborenen Stefan Goldmann nicht von ungefähr. Sein Vater, Friedrich Goldmann, war Avantgardekomponist, wovon ihn auch die Kulturpolitik der DDR nicht abhielt. Zwar durchlebte Stefan erst einmal eine längere Latenzphase, in der er sich wenig um die Geschäfte seines Vaters kümmerte, später kam sein Interesse an Neuer Musik dafür umso stärker zur Geltung.
Im vergangenen Jahr erschien bei Macro ein Album mit späten Werken von Friedrich Goldmann, mittelfristig ist eine umfangreiche Edition geplant. Stefan Goldmann selbst bekommt inzwischen immer häufiger Aufträge von Neue-Musik-Ensembles. Für sein Programm mit dem casal-Quartett schrieb er zwei Stücke, die er zwischen den Beiträgen der Streicher aufführt.
Er will so inhaltliche Verbindungen zu den Werken für das Quartett herstellen – unter anderem zur „strunzprimitiven Rhythmik“ von Franz Schubert. Konzerte wie diese haben für ihn zugleich eine politische Bedeutung: „Ich versuche in dem Fall nicht, mit einem Track eine möglichst große Menge an Leuten im Internet zu erreichen, sondern ich mache genau das Gegenteil, ich entziehe was und sage, ihr müsst in Ludwigshafen sein am 30. 3., 20 Uhr. Um 21 Uhr ist es schon wieder verflüchtigt.“
Den Ansatz, Clubmusik mit Klassik zusammenzubringen, verfolge er aber nicht. „Mein Kernthema ist, neue Kombinationsmöglichkeiten oder Konzepte zu finden, die noch nicht besetzt sind, zwischen Gebieten zu schauen.“ Das kann ebenso gut zu einer Begegnung von House und Balkanfolk wie der bulgarischen Chalga führen. Goldmann, der Verwandte in Sofia hat und dort regelmäßig weilt, liebt die arabischen Skalen dieser Musik.
Auf seinem nächsten Album lässt sich studieren, wie es klingt, wenn balkanische Tonleitern mit der rhythmischen Struktur von House verbunden sind. Im Mai erscheint schon mal der Track „Adem“. Goldmann ist auch hier Pionier: „In der Richtung gibt es sehr viel zu entdecken.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance