Berliner Polizei geht gegen politische Karnevalisten vor: Polizei erfindet Karneval neu
Exotisch, bunt und unpolitisch stellt sich die Polizei den Karneval der Kulturen vor - und stoppt den Zug wegen einer Gruppe mit zu politischer Botschaft.
Sambatänzerinnen in knappen Bikinis sind eine beliebte Augenweide beim Karneval der Kulturen. Doch stärker bekleideten LateinamerikanerInnen drohen Probleme - mit der Polizei. Beim diesjährigen Umzug am Pfingstsonntag bekamen das die TeilnehmerInnen der uruguyanischen Gruppe "Serenata Lubola" zu spüren. Ihretwegen stoppte die Polizei den Zug und hinderte einige Mitglieder an der weiteren Teilnahme. Begründung: Es habe der Eindruck bestanden, dass sich im Umzugstross "Personen aufhielten, die offensichtlich nicht zum Umzug gehörten", so ein Sprecher der Polizeipressestelle am Montag zur taz. Ursache für diesen Eindruck sei "die teilweise Maskierung dieser Personen" gewesen, zudem "zwei Transparente politischen Inhalts", die diese bei sich führten.
Der Polizeizugriff erfolgte um 15.40 Uhr. Etwa 20 Beamte stürmten die Strecke und forderten einige TeilnehmerInnen zum Verlassen des Umzuges auf. Die reagierten mit einer Sitzblockade und wurden daraufhin von Polizisten von der Straße getragen. Laut Polizei wurden dabei zwei Beamte leicht verletzt.
Noch während die Personalien von Mitgliedern von Serenata Lubola festgestellt wurden, relativierten die Sachbereichsleiterin Öffentlichkeitsarbeit der Polizei, Katharina Cardinal von Widdern, und der verantwortliche Einsatzleiter gegenüber der taz die Gründe für den Einsatz. "Der Verdacht, dass die Personen nicht angemeldet waren, hat sich nicht bestätigt", räumten die Beamten ein. Wenig später wurden die Karnevalisten von der Polizei dann eines Handydiebstahls beschuldigt. Eine Durchsuchung ihrer Taschen und Jacken widerlegte aber auch diesen Verdacht.
Seit 2004 nimmt Serenata Lubola am Berliner Karnevalsumzug teil. Die Gruppe pflegt die Tradition des Candombe, eines Trommeltanzes, den afrikanische Sklaven in Uruguay etablierten. Politisch ist damit der Protest gegen Sklaverei und Neokolonialismus verbunden. Beim diesjährigen Karnevalsumzug brachten sie diesen mit Plakaten zum Ausdruck, auf denen etwa "Stopp der Diskriminierung von Immigranten", "EU und USA raus aus Lateinamerika" oder "Schluss mit Kriminalisierung der Sinti und Roma" stand. Manche trugen zudem weiß-schwarze, totenkopfähnliche Masken vor den Gesichtern - eine Vermummung, die beim Karneval allerdings keine Seltenheit ist. Viele der Tänzerinnen und MusikerInnen der knapp einhundert am Umzug teilnehmenden Gruppen verbergen ihre Gesichter hinter Masken.
Auch politische Meinungsäußerungen sind beim Berliner Karneval ebenso üblich wie beim Kölner oder beim Mainzer: So protestiert etwa die Gruppe "La Calaca" beim Karneval der Kulturen seit Jahren gegen die Behandlung von Menschen ohne Papieren in Europa. "Der Karneval der Kulturen war und ist immer politisch", sagt dessen Organisatorin Nadja Mau. Es reiche aber nicht, ein Plakat hochzuhalten - politischer Anspruch müsse künstlerisch umgesetzt werden.
Die Polizei hat gegen zwei Mitglieder von Serenata Lubola Anzeige wegen Körperverletzung und Widerstands gestellt. Auf dem Karneval der Kulturen bekam die Gruppe am Montag eine Auszeichnung: Für ihre aufwändige und gelungene Ausstattung.
Leser*innenkommentare
Luki
Gast
Kultur ohne Politik - geht das?
Wenn die Staatsgewalt einen Karneval der KULTUREN ohne politische Meinungsäußerung anstrebt, ist das bedauernswert.
Sehr interessanter Artikel!!!!
Sensenmann
Gast
Paßt schon:
Auf einem Karnevalsumzug ist Mummenschanz erlaubt.
Auf einer Demonstration allerdings nicht (Vermummungsverbot).
Werden jetzt harte politische Parolen formuliert, ist der Karneval kein Karneval mehr, sondern eine Demo.
noname
Gast
die EU fordert Deutschland schon seit langem dazu auf endlich eine unabhänige Untersuchungskomission für Vergehen der Polizei einzurichten.
Doch die BRD geht dieser wichtigen Forderung der EU aus dem Weg.
Die Piratenpartei fordert zBs auch eine genauere Kontrolle der Exekutive.
Ich finde die Piratenpartei ist sowieso die einzige Partei die man mit gutem Gewissen wählen kann, besonders wenn man jung ist und in die Zukunft dieser Erde guckt!
Stimmzettel umgültig machen geht auch, is aber auch nicht optimal-
Hartmut K
Gast
Die Berliner Polizei ist ja wirklich unschlagbar: Zu Karneval maskiert herumlaufen geht ja auch wirklich zu weit! Und dabei auch noch politisch rumräsonnieren - Lumpenpack, demokratisches, kann man da nur sagen.
Wir werden ihr und ihren rot-roten Auftraggebern einen eigenen Wagen beim nächsten Karneval widmen - und übrigens gibt's Karneval bei uns im Rheinland nicht nur in der biederen Fernsehversion, sondern auch in vielen alternativen, linken, bunten Spielarten (Geisterzug, Stunksitzung und und und). Aber Vorsicht: Die Teilnehmer dieser Veranstaltungen sind in der Regel verkleidet, maskiert und schrecken nicht davor zurück, politisches von sich zu geben. Buuuuuuhhhhhhhuuuhhhuuuuhhh, Herr Körting, das ist für jeden aufrechten sozialdemokratischen Innensenator zum Gruseln, was da vor sich geht, halten Sie sich bloß davon fern! Und da helfen auch keine rot-roten Polizeiknüppel - die Leute lassen den Karneval einfach nicht verbieten.
Aber gut zu wissen, was SPD und 'Linke' von der Meinungsfreiheit halten ...
Andreas
Gast
Die sollten sich mal den Basler Morgenstreich angucken. Wer dort mitmacht hat 1. eine politische Botschaft und 2. eine Maske mit langer Nase auf.
ole
Gast
Offenbar haben sie den "Schock" des 1.Mai immer noch nicht überwunden.
Und nun hat Körting ein neues Problem identifiziert: Der bunte Block.
Wirklich eine grandiose Leistung.
Hubert
Gast
Erschreckend, wie hierzulande mittlerweile offensichtlich unbefangen eine Art Gesinnungswillkür praktiziert wird.
vic
Gast
Es ist beängstigend, was nun schon unter rot/roter Landesregierung möglich ist.
Oder stellt in Berlin schon das duo infernale Zypries und Schäuble die Regeln auf?
Jedenfalls hat die uruguyanische Gruppe "Serenata Lubola" etwas zu erzählen aus einem freien Land.
Horst Pachulke
Gast
Warum kann man eigentlich Polizisten nicht wegen Ignoranz, Dummheit (die wahrscheinlich für die "Verletzung" verantwortlich ist - Dummheit tut den Betroffenen manchmal halt doch weh) und Frechheit im Dienst anzeigen? Das wäre doch mal ein Programm für eine neu zu gründende Partei. Meine Stimme hätte sie.
Anna Sengler
Gast
Jetzt reicht's! Auch die taz sollte Körtings Rücktritt fordern!