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Berliner Piratenchef„Ich bin politisch tot, unhaltbar, raus“

Trotz seiner umstrittenen Äußerungen sprach der Berliner Vorstand der Piraten dem Landeschef Semken das Vertrauen aus. Dann plauderte er Interna aus – und trat nun zurück.

Hatte Probleme sich deutlich nach rechts abzugrenzen: Hartmut Semken. Bild: dpa

BERLIN taz | Es ist das Ende eines Missverständnisses. Nach wochenlangen Querelen trat der Berliner Piraten-Landeschef Hartmut Semken in der Nacht zu Mittwoch zurück - nach gerade mal zweieinhalb Monaten im Amt.

Auslöser war eine scheinbare Lappalie: Eine Email, die der 45-Jährige aus einer nichtöffentlichen Vorstandssitzung am letzten Donnerstag einem Spiegel-Journalisten geschrieben hatte – entgegen einer Absprache, dort nicht mit der Presse zu kommunizieren. „Der König ist nicht tot! Und weigert sich weiterhin, zurückzutreten", textete der Piratenchef. Vom Vorstand später zur Rede gestellt, bestritt Semken, die Email aus der Sitzung geschrieben zu haben. Dienstagnacht räumte er dies aber intern als Lüge ein.

Gegenüber der taz bestätigte Semken seinen Rücktritt. Die Gründe wollte er erst am Abend auf einer eigens einberufenen Vorstandssitzung benennen. Von Parteifreunden soll er sich in einer Email am frühen Mittwochmorgen mit den Worten „ich bin politisch tot, unhaltbar, raus" verabschiedet haben.

Der Landesvorstand der Berliner Piraten teilte nur knapp mit, dass Semken „die Unwahrheit“ gesagt habe, was seine Email an den Spiegel betraf. „Wir hatten Hartmut bis zuletzt unterstützt, begrüßen aber, dass er die Konsequenzen gezogen hat.“

„Unhaltbar“ geworden

Die Berliner Piraten zeigten sich in ersten Reaktionen von dem Schritt überrascht. Noch am Dienstagabend hatte sich der Vorstand auf einer öffentlichen Sitzung gegen einen Rücktritt Semkens ausgesprochen. Mit dem neuerlichen Vorfall aber, so heißt es aus der Partei, sei Semken „unhaltbar" geworden. Piraten-Bundeschef Bernd Schlömer sagte, Semken habe die „richtigen Schlüsse" gezogen. Er hoffe, „dass dieser mutige Schritt für Ruhe im Berliner Landesverband sorgen wird".

Schon die Wahl Semkens zum Landeschef im Februar hatte in der Partei viele überrascht. Langjährige Mitglieder hatten mit der damaligen Schatzmeisterin Katja Dathe als neue Vorsitzende gerechnet – die Basis entschied sich für Semken. Der vergräzte nach dem Votum zuerst die Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, über deren Arbeit er sich „nicht begeistert“ äußerte.

Dann sorgte Semken mit Blogeinträgen für Unmut, in denen er sich gegen den Ausschluss rechtsextremer Parteimitglieder aussprach und Neonazi-Gegner als eigentliches Problem der Piraten bezeichnete. Später irritierte Semken, als er sich „nach Verfassungsschutzdefinition“ einen „Linksextremisten“ nannte, da er die Utopie einer Gesellschaft verfechte, in der niemand Macht über einen anderen Menschen ausübe.

Drei einflussreiche Parteimitglieder, darunter der Abgeordnete Oliver Höfinghoff, hatten schon Mitte April den Rücktritt von Semken gefordert: Dieser sei „offensichtlich komplett überfordert“. Höfinghoff sagte, dass Semken dies nun offenbar selbst erkannt habe. „Von daher ist der Rücktritt eine richtige Entscheidung.“

Neuwahl des Landesvorstands?

Am Mittwochabend wollte sich die Partei zu einer Sondersitzung treffen, um zu beraten, ob die für September geplante Neuwahl des Landesvorstands vorgezogen wird. Auf Liquid Feedback, der Abstimmungsplattform der Piraten, spricht sich bisher eine Mehrheit für die Beibehaltung des Termins aus.

Den Eindruck einer Krise des Berliner Landesverbands, der seit der Wahl von 900 auf 3.450 Mitglieder gewachsen ist und in Umfragen derzeit bei 15 Prozent liegt, versuchten Mitglieder zu zerstreuen. Man dürfe den Rücktritt nicht überbewerten, sagte die einstige Vorsitzanwärterin Katja Dathe. „Der Vorstand ist bei uns ja nicht der große Richtungsweiser, da bricht jetzt nichts zusammen.“ Ob sie selbst für Semkens Nachfolge bereitstehe, beantwortete Dathe mit „gerade eher nicht“.

Semken selbst zeigte sich nach seinem Rückzug verbittert. „Also weils so schön war und alle bashen wollen: tut es“, schrieb er auf Twitter. „Haut es raus, fühlt euch danach besser. So muss das sein, bei Piraten, richtig?“

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19 Kommentare

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  • P
    Piet

    Echt betroffen machendes Foto!

     

    Aber MUSS man als Piraten-Vorstand

    eigentlich Wampe, Fleischmütze

    und Klodeckelbart tragen?

     

    Vom cool-männlichen

    Reservisten-Pulli in Marineblau

    mal ganz abgesehen.

     

    So'n sexy Outfit qualifiziert

    doch eher für die Wilhelmshavener CDU!

     

    Ich mein' ja bloß...

  • G
    Geheimpirat

    Ein Bubenstück der Intet-Kita:

    So sieht es aus mit der angeblichen "Transparenz" bei den Piraten, mit der sie so gerne und oft politisch werben! Das war ja entlarvend. Und wo Menschen zusammenkommen, wird es immer auch Interna und Vertrauensverhältnisse geben, liebe Piraten. Das ist erfahrungsgemäß so. Daran ändern Parteitagsbeschlüsse mal gar nichts.

    ...

  • MD
    Martin Drees

    @ Rungel:

    Doch, doch, ich versteh schon sehr gut, was mit Transparenz gemeint ist: Alle anderen sollen transparent sein, nur die Piraten drehen sich das so wie sie es gerade brauchen.

    Wenn ich da an die Weigerung des SH-Piraten Breyer denke, seine berufliche Herkunft preiszugeben, passt das genau ins Bild. Jeder, der sich schon einmal mit Korruptionsbekämpfung beschäftigt hat, kriegt da das Gruseln. Da war Norbert Gansel von der SPD schon vor Jahrzehnten weiter als ihr.

  • HW
    holli w

    die piraten und ihre digitale gesellschaft... irgendwer ist zurückgetreten, vollkommen wurscht

     

    keiner von den "parteiprinzen" hat begriffen, dass ich die "straße" brauche, um grundlegende veränderungen herbeizuführen... was hilft die teilhabe als regierungsbildende partei (siehe die linke) oder das sinnlose parlamentarische geschwafel von der oppositionsbank

     

    du sollst nicht wählen!

  • R
    Rungel

    Oh mein Gott, warum versucht ihr nicht einmal zu verstehen, was mit Transparenz eigentlich gemeint ist? Transparenz heißt nicht, dass die Klofotos der Vorsitzenden öffentlich gemacht werden müssen, genausowenig wie die Biergespräche aufgezeichnet werden. Transparenz heißt, dass politische Entscheidungen transparent getroffen werden. Dies umfasst Livestreams von Sitzungen usw., aber es muss doch auch ParteiINTERNE Sitzungen geben. Als Ausnahme zwar, aber das ist doch auch so gedacht, public by default, but with exceptions.

  • K
    Kaufmann

    anhand der Kommentare kann die TAZ erkennen, dass die jüngste Berichterstattung über die Piratenpartei bei der Leserschaft verfängt. Die Frage bleibt wieviele sind das und ob dann wenn das Kalkül nicht aufgeht, doch viele die Fakten vorziehen und erneut die Piraten oder die Rechten wählen?

     

    Aber die Grünen stagnieren auf hohem Niveau, wo die Konkurrenz verliert. Das kann man als genossenschaftlichen Gewinn verbuchen.

  • W
    Weinberg

    Bei näherem Hinsehen wird ein halbwegs politisch denkender Mensch feststellen, dass es sich bei den Piraten um einen etwas seltsamen Haufen handelt.

     

    Wo ist diese schillernde Partei einzuordnen? Was will sie erreichen?

  • MD
    Martin Drees

    Der Vorsitzende der selbst ernannten Kämpfer für Transparenz stolpert über zuviel Transparenz gegenüber der Presse. Ich lach mich kringelig.

  • R
    reblek

    "Trotz seiner umstrittener Äußerungen..." - Im Vorspann überall die richtigen Buchstaben unterzubringen, scheint für die tazler(innen) nicht so einfach zu sein. Versuchen Sie es mal mit "umstrittenen".

  • S
    Störtebeker

    Vergesst die Piraten!

  • W
    Wolf

    Teile des überwiegend wahlunmündigen Mobs haben

    Bornismus und völlige Konzeptlosigkeit gewählt.

     

    Wer einem solchen Scharlatanhaufen seine Stimme gibt, kann nicht mehr alle Krampen im Holz haben.

     

    Die gewählten Politheinis wollen sich doch eh nur

    an der Steuergeldkasse durch überhöhte Diäten laben !

  • R
    π-rat

    Geheime Sitzung? Wo bleibt denn da die Transparenz?

  • H
    hallo?

    Verstehe ich da jetzt etwas nicht?

    Der Mann bringt absurde Sprüche und kann bleiben.

     

    Er stellt die Vertrauensfrage in einer GEHEIMEN Sitzung, bekommt das Vertrauen ausgesprochen und muss gehen, weil er das weitergibt?

    Hatte ich nicht irgendwie soetwas in Erinnerung, dass eine Kernforderung der Piraten TRANSPARENZ ist?

     

    Wie verträgt sich das denn?

    (Mal ab von dem Ergebnis, das schon nach den ersten Äußerungen dieses Mannes resp. "Königs" hätte kommen sollen.)

  • N
    nnoiz

    eine "geheime" sitzung bei den piraten ?? wo bleibt die transparenz ?

  • G
    GruppeGutzeit

    Na, das fängt ja früh an ...

  • T
    Thomas

    Immer diese Deppen die sich selbst so in Szene setzen müssen...darum geht es nicht bei den Piraten. Dann kann er zu jeder anderen Partei gehen.

  • V
    viccy

    Wenn er die Mail zwei Stunden später geschickt hätte, wäre alles in bester Ordnung gewesen? Verstehe die Aufregung um diese vermeintlichen "Interna" nicht recht. Schade um den Mann. Vielleicht kommt er ja wieder; bei den großen Parteien gingen schon ganz andere Geschichten durch.

  • I
    Ironie

    Der Chef einer Partei, die Transparenz als höchstes Gut darstellt, muss zurücktreten, weil er aus einer geheimen!!! Vorstandssitzung Interna!!! ausplaudert?

     

    Wie lächerlich sind die eigentlich? Macht nix, bei 8%.

     

    Die PIRATEN waren die Totengräber der Linkspartei im Westen, weil sich dumpfes Dagegensein immer ein Ventil sucht, das kann allerdings wechseln wenns was hipperes gibt.

     

    Hoffentlich ist die Partei, die den PIRATEN die Wähler abspenstig macht, nicht ganz so blöd.

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Vertrauensbruch bezüglich einer geheimen Vorstandssitzung bei der Transparenz-Partei???