Berliner Mauerwanderweg (Teil 6): Verliebte, Flüchtlinge und der König

Entlang dem Teltowkanal spurte die DDR einst einen breiten Streifen aus Sperranlagen und Kontrollstellen. Heute glaubt man sich dort in einer wilden Naturidylle aus Wasser, Bäumen und Schilf.

Die 6. Etappe Bild: Infotext

Grenzen sind Niemandsland, sind Zwischenraum, an dem wenig klebt. Berlin, die Stadt und ihre Chiffren aus Urbanität, Mobilität und Technik, hat sich bereits zu Mauerzeiten kurz hinter dem S-Bahnhof Lichterfelde-Süd und noch mehr am Ostpreußendamm aufgelöst. Zu nah waren der Osten, die Mauer, der Feind. Natur hat darum die Architektur durchdrungen. Bis dato. Und immer mehr.

Steht man an der Ecke Ostpreußendamm/Paul-Gerhardt-Straße, ragen beim Blick zurück die drei Schlote des Heizkraftwerks Lichterfelde wie Finger einer Hand zum Abschiedsgruß in den Himmel. Die Stadt bleibt zurück. Zeichen des großstädtischen Ballungsraums wird man die kommenden knapp 15 Kilometer kaum finden.

Wem die Tour entlang dem Teltowkanal in diesen Tagen zu heiß und anstrengend werden sollte, kann sich zwischendurch eine erfrischende Abkühlung gönnen. Natürlich nicht im Kanal, das ist offiziell verboten, sondern im "Freibad Kiebitzberge" in Kleinmachnow.

Vespern und dabei eine äußerst gelungene Altstadtsanierung betrachten kann man kaum 100 Meter jenseits der Knesebeckbrücke, die benannt ist nach dem Teltower Landrat Leo von der Knesebeck (1808-1883), im historischen Stadtkern von Teltow. Das "Café Carnap" direkt an der Teltower Kirche bietet Kaffee, viele Kuchen, kalte Getränke und eine kleine Speisekarte für hungrige Wanderer an.

Das "Naturschutzgebiet Buschgraben" ist ein Sumpfgebiet, durch das sich der einstige Mauerstreifen zog. Es ist heute eine zum Teil begehbare Naturlandschaft voller seltener Pflanzen, Vögel und derzeit jede Menge gemeiner Stechmücken. Die "Bürgerinitiative Grüner Buschgraben" macht dort gegen eine weitere Verdichtung mobil.

An der Verbindung Berlepschstraße/Neuruppiner Straße steht ein Holzkreuz zur Erinnerung an Karl-Heinz Kube, der am 16. Dezember 1966 beim Fluchtversuch nach Westberlin erschossen wurde. Er war gerade mal 17 Jahre alt. Die Staatssicherheit verschwieg seinen Eltern die genauen Umstände seines Todes. Per Post erhielten sie die Urne samt Asche ihres Sohnes.

"Buga-Wanderweg", "Kanalauen" weist denn auch sinnfällig ein Schild von der Paul-Gerhardt-Straße hinunter zur Seepromenade am Teltowkanal. Rechts fließt glitzernd das Wasser. Bäume, Schilfrohr und Gebüsch verstecken manchmal die Rinne. Schnurgerade schiebt sich der frühere Postenweg parallel zum Wasser. Und linker Hand rahmt, hinter Büschen und Rankwerk versteckt, der dichte, metallene Grenzzaun die Strecke, den alte und neue Anlieger zum Schutz gegen alles und jeden einfach bestehen ließen. Es ist idyllisch, grün, ein Weg für Wanderer, Radler, Jogger samt Plätzchen für Verliebte am Kanal.

"Warum eigentlich Seepromenade?", fragt gleich zu Beginn eine Tafel, die der Heimatverein Teltow 1990 dort aufgestellt hat. Und man erfährt: "Die Bezeichnung ist überliefert aus der Zeit des Teltower Sees. Der fiel 1900 bis 1909 dem Kanalbau zum Opfer. Alte Bäume markieren den einstigen Uferverlauf."

Dann rückt die Geschichte der Teilung ins Bild. "Zwischen 1961 und 1989 war es hier nicht so idyllisch", steht unter vier Fotografien, die die abgefräste Seepromenade samt Kanal zeigen - als breite Schneise aus Wasser, Sand und Absperrungen, Wachtürmen, Zäunen und dem Postenweg in seiner Mitte. Heute hat sich erneut alles gewandelt: Der Vegetation hielt der einstige Todesstreifen nicht stand.

Zweieinhalb Kilometer weiter, an der Knesebeckbrücke über den Teltowkanal, rückt aus der Natur wieder ein Denkzeichen: "Dem unbekannten Opfer des Terrors. 29. 8. 1961" lautet die Inschrift auf einem Postament westlich der Überfahrt, die sich in der Folge als Weg entlang einer Flussidylle zeigt und ebenso an Donau-, Rhein- oder Weserauen liegen könnte. Dass der Teltowkanal bis 1989 vielfach für Fluchtversuche genutzt wurde und nicht wenige Schwimmer das Westberliner Ufer erreichten, aber weit mehr es nicht schafften, erfährt der Wanderer nicht. Die Natur gibt sich hier geschichtslos.

An der Sachtlebenstraße verlässt der Mauerweg den Teltowkanal und seine Lastkähne und lässt die Stadt sowie geschichtliche Konturen und Rudimente in die ländliche Atmosphäre dringen. Grenz- und Hafenanlagen der einstigen "DDR-Wasserkontrollstelle" werden sichtbar, ein gesprengter Brückenkopf nach Osten kreuzt den Weg, Schleifen von BVG-Bus-Endhaltestellen erinnern an die Zeiten der Teilung.

Dahinter verliert sich der Weg entlang der Stadtgrenze zu Kleinmachnow im Sumpfgebiet des Naturschutzgebiets Buschgraben. Die Neuruppiner Straße hat sich dort von Westberliner Seite aus hineingedrückt. Seit den Mauerzeiten lebt die Familie Korthe in einem Reihenhaus in dieser Tangente. Es war ein absurder Wohnzustand. "Vorn an der Straße standen unsere Häuser, und am Gartenzaun hinten verlief die Grenze. Wir haben über den Todesstreifen in die Zimmer der Nachbarn im Osten geguckt - wenn Licht drin war. So nah war das", erinnert sich Siegfried Korthe. Weniger gut ist er auf die Grenzanlagen zu sprechen, die ihm das Leben zum Teil schwer machten und deren Flächen ihn jetzt noch aufregen. Denn dort, so meint er, würden heute ohne Genehmigung neue Häuser hochgezogen. "Statt endlich freier Sicht macht man wieder alles dicht." Was stimmt. Im benachbarten Kleinmachnower Straßenabschnitt Wolfswerder - der parallel zur Neuruppiner Straße verläuft - werden Einfamilienhäuser en masse hochgezogen, die selbst eine neue Anwohnerin "viel zu eng aufeinander" findet. Das führt zu bösem Blut zwischen Zehlendorf und Kleinmachnow.

Nach zwei Dritteln der Stecke wird es dunkler. Über dem Weg schlagen die Buchen und Eichen immer dichter zusammen. Dies ist der Königsweg. Die Radiale, einst barocke Achse als Weg des Königs von Berlin nach Potsdam, ist seit Langem ein beliebter Waldweg in Richtung Wannsee und eine Trabrennbahn für Reiter. Schon vor 1989 war sie mehr Strecke für Sonntagsspaziergänger oder Ausflügler als Geschichtsmeile. Die Grenze lag hundert Meter tief im Berliner Forst, nichts erinnerte an sie, man ahnte sie nicht einmal. Auch heute nicht.

Plötzlich reißt der Wald auf, und man steht auf der Königsbrücke. Auch hier ist noch Niemandsland, aber nur scheinbar. Denn die einstige Grenzübergangsstelle Dreilinden ist nur noch Kulisse, ein Totenfriedhof für den "Transit nach Westdeutschland". Keiner in Berlin weiß, was man mit der rot-weißen Betonburg anfangen soll. Wäre sie morgen weg, kaum jemand würde sich ihrer erinnern. Durch sie hindurch rauscht der Autobahnverkehr in Richtung Avus und Potsdamer Chaussee, man hört die Bahn, und am Horizont blinken die Neubauten des Europarks, wo sich mehrere Firmen angesiedelt haben. Hier spürt man weniger Geschichte als die Chiffren der Stadt, die wieder nah sind.

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