Berliner Mauerwanderweg (Teil 5): Schottische Rinder im Niemandsland
Zwischen Lichtenrade und Lichterfelde verläuft der Mauerweg an der grünen Stadtgrenze. In idyllischer Ruhe liegt ein kleiner Bauernhof - wo zu DDR-Zeiten ein altes Gut gesprengt wurde.
Trostlos trifft es ziemlich genau. Trostlos ist der geteerte Weg, den man zwölf Kilometer lang beschreitet. Trostlos ist auch der Ausblick auf die Felder zur Linken und die Mischung aus Kleingartenkolonie, Klärwerk und Hochhäusern zur Rechten. Und trostlos verläuft zunächst die Suche nach Spuren der Vergangenheit. Keine Stacheldrahtreste, kein überwucherter Betonpfahl, nicht mal ein vergessenes Mauerstück auf diesem Streckenabschnitt. Stattdessen ein kilometerlanger Grünstreifen. Das kann doch nicht alles gewesen sein!?
Als Wanderer ist man zudem weit und breit der Einzige - und muss sich doch ständig in Acht nehmen: Vor den Radfahrern, die auf dem ehemaligen Patrouillenweg durch die Landschaft hetzen. Und vor "Lumpi", "Hasso" und "Rotraut" aus Lichterfelde und Lichtenrade, die hier Gassi gehen.
Der Grünstreifen entlang dem Mauerweg ist Hundewiese: Bei den Kötern besonders beliebt sind die Zonen längs des Schichauweges und des Tilkroder Weges, ebenso die Hecken nahe dem Wohnviertel am Jenbacher Weg.
Zu einer ungewollten Pause zwingt die Ampel an der vierspurigen B 101, dem letzten Kontrollposten vor Brandenburg: Fußgänger und Radfahrer bringen die Autos zum Stillstand, zumindest für die Länge der Ampelphase.
Rund 500 Meter südlich des Jenbacher Weges befindet sich das Osdorfer Wäldchen. Vom Parkplatz am Ortsausgang an der Osdorfer Straße zweigt ein Waldweg ab, der zur bewirtschafteten Scheune des ehemaligen Gutes führt.
Überquert man die Osdorfer Straße am Ortsausgang in Richtung Westen, gelangt man Richtung Geisterstadt "Park Range", einem ehemaligen Übungsgelände der US Army. Das seit 1994 verlassene Gelände ist nicht zugänglich.
Zwischen Lichterfelde-Süd und den Teltower Ortsteilen Sigridshorst und Seehof säumen japanische Zierkirschen den Mauerweg. Über 1.000 Bäume stifteten japanische Bürger und eine TV-Station als Zeichen der Freude über die Wiedervereinigung.
Nach gut zwei Dritteln der Strecke tauchen Dietmar und seine Frau Heidelore auf, zu Fuß und ohne Hund. Als pensionierter Zollbeamter Westberlins kennt Dietmar die Gegend gut. Ob noch irgendwas von der Mauer steht? Prompt verschwindet er im Gestrüpp - und wird doch nicht fündig. Dafür wird jedes parkende Auto am Jenbacher Weg von ihm ordnungsgemäß begutachtet: Die meisten stehen mit dem Heck im ehemaligen Osten und mit der Front in Berlin. Die vergangene Demarkationslinie ist präsenter, als man vermutet.
Das alte Gut Osdorf
Doch Dietmar hat den entscheidenden Tipp. Rund 500 Meter abseits vom Mauerweg auf Brandenburger Gemarkung läge das alte Gut Osdorf, das in den späten Sechzigerjahren abgerissen wurde, weil es zu nah an der Grenze stand. Anfangs habe man es noch mit Passierscheinen und Sonderbewachung versucht, dann war schnell Schluss; die Bewohner wurden umgesiedelt. Aber da fänden sich bestimmt Überreste. Jetzt wirds doch noch spannend.
Auch wer keinen Ortskenner trifft, stößt auf einem kleinen Parkplatz an der Ausfallstraße Richtung Osdorf auf einen Infokasten. Demnach blieb beim Abriss, bei dem auch die Hälfte des Waldes gerodet wurde, nur die Scheune stehen. Früher waren die Häuser von Rieselfeldern umgeben, auf denen die Berliner ihre Abwässer entsorgten. Hinter dem Aufsteller führt ein Pfad durch einen lichten Wald aus halbhohen Eichen und Birken. Hier ist kein Baum älter als 20 Jahre.
Nach gut 300 Metern endet diese Zone, die gerade so breit ist wie der ehemalige Grenzstreifen. Danach wird es deutlich älter und dichter. Moosbewachsene Stämme liegen quer über dem Weg, dazu ein Teppich aus Springkraut. Es knackt und knistert in diesem dunklen Märchenwald. Kurz darauf stößt man auf eine Kopfsteinpflasterstraße, die gen Westen zu einem länglichen Backsteinbau führt. Eindeutige Spuren von Zivilisation. Die Scheune liegt wuchtig da. Hühnervieh amüsiert sich im Gehege davor, Geranien zieren den Balkon. Hinter dem Haus strahlt ein Sonnenblumenfeld, daneben eine Koppel, auf der ein Haflinger weidet. Ferien auf dem Bauernhof?
Stolzer Tierbestand
"Es ist ein normaler landwirtschaftlicher Betrieb", erklärt Manuela Windmüller, die das Gelände seit sieben Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Thomas und dem befreundeten Ehepaar Ebel bewirtschaftet. "Wir haben uns damit einen Traum erfüllt", sagt die braungebrannte 41-Jährige, während sie im Schatten der Scheune Mittagspause macht. "Raus ins Berliner Umland ging zu Mauerzeiten nicht, jetzt können wir endlich ins Grüne."
Ahnung von Bauernarbeit hatte die gelernte Arzthelferin und Stadtpflanze anfangs nicht. Aber das ließ sich erlernen. Mittlerweile haben sie einen stolzen Tierbestand mit schottischen Hochlandrinder, Kühen, Pferden, Schafen, Ziegen, Gänsen und Schweinen. Ihre Erzeugnisse verkaufen sie im eigenen Hofladen. Lediglich die Sonnenblumen seien "nur zur Optik": "Sieht doch schön aus."
Ob sie weiß, wo Überreste des alten Gutshauses liegen? Hinter ihrem Garten habe es einst gestanden. "Jetzt im Sommer ist es hier extrem zugewachsen", sagt sie und biegt ein paar Äste zur Seite. Dennoch sind die Fundamente zu erkennen. Weiter östlich zeugen Schutthaufen von den ehemaligen Arbeiterhäusern. Doch tiefer in den Wald will sie nicht und deutet auf eine Kuhle: "Hier halten manchmal Wildschweine ihren Mittagsschlaf." Zu DDR-Zeiten hätten sie das vermutlich nicht gewagt.
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