Berliner Mauerwanderweg (Teil 13): Mauerhunde und Mauerküsse
Männer müssen hämmern, Frauen müssen küssen: Eine Wanderung mit einer Zeitzeugin, zwei Abstechern und vielen Erinnerungen entlang der Grenze zwischen Reinickendorf und Pankow.
Von Hermsdorf soll es hier gehen bis nach Wilhelmsruh. Vorbei am Märkischen Viertel. Dort kennt sich die Reinickendorferin, die mich begleitet, gut aus. Ihre Großmutter hat im Märkischen Viertel gewohnt. Im Dannenwalder Weg, direkt an der Mauer. Aber so weit sind wir noch nicht.
Um zum Anfang dieser Maueretappe zu kommen, überqueren wir die Burgfrauenstraße in Hermsdorf. "Ich hatte mal ne Freundin, die wohnte in der Burgfrauenstraße", kramt die Reinickendorferin die erste Erinnerung hervor. Bei Berlinerinnen fangen viele Geschichten mit "ich hatte mal ne Freundin" an, das will nicht viel heißen. Diese Freundin aber, die sie jetzt meint, die wohnte im Erdgeschoss eines Hauses in der Burgfrauenstraße ganz nah an der Mauer. Eines Nachts sollen Leute an deren Fenster geklopft haben. "Helfen Sie uns, wir sind gerade geflüchtet", hätten diese gesagt, erzählt die Reinickendorferin. Egal ob wahr oder nicht: dass die Burgfrauenstraße in ihrer behäbigen Vororttauglichkeit so zum Schauplatz der innerdeutschen Weltgeschichte wurde - nur schwer vorstellbar, das.
Der Mauerweg umfährt das Tegeler Fließ. Ein Abstecher lohnt sich allemal. Das Tegeler Fließ ist ein Bach, der heute teilweise die Grenze zwischen Berlin und Brandenburg markiert. Früher verlief hier die "Zonengrenze" - nicht aber die Mauerbefestigungsanlagen. Diese lagen weiter nördlich. Weil das Fließ eine eiszeitliche Abflussrinne ausfüllt, ist eine breite Sumpflandschaft um den Bach herum entstanden.
Der Köpchensee ist ein unspektakulärer kleiner See, der während der DDR-Zeit teilweise zugeschüttet war. Danach steigt der Weg leicht an und man hat einen fantastischen Blick über den Barnim. Ein Abzweig vom Mauerwanderweg führt direkt nach Lübars - ein intaktes kleines Dorf im Norden Berlins. Zwar gibt es mittlerweile mehr Reiter- als Bauernhöfe, trotzdem fahren riesige Trekker noch immer mit Heu beladen über die Kopfsteinpflasterstraßen.
Das Märkische Viertel war einmal ein grüner Slum: Bevor in den 60er- und 70er-Jahren eine Retortensiedlung für 50.000 Leute hochgezogen wurde, waren dort legale und illegale Laubenkolonien, die hygienischen Bedingungen waren schwierig.
Alle Etappenbeschreibungen erscheinen unter taz.de/mauer
Auch die Veltheimstraße und die Schildower Straße strahlen keine historische Schwere aus mit ihren Ein-, Zwei-, Dreifamilienhäuschen samt Gärtchen. Statt des selbst gegrabenen Tunnels, durch den hier irgendwo 15 Leute flüchteten - 1961 war das - gibt es selbst gemachte Marmelade zu kaufen vor einem Gartentor. Zu Recherchezwecken erwerben wir Apfelgelee mit Calvados. 1,50 Euro kostet es.
Von dieser Straße aus kommt man ins Tegeler Fließ. Ein Abstecher für Naturverbundene. Dort kann man, wenn keine echten Lebewesen vorbeikommen, Schilder des Naturschutzbundes von echten Lebewesen studieren. Sumpfvögel, Sumpfblumen, Sumpfreptilien. "Schön hier", sagt die Reinickendorferin. "Weich, lieblich, grün." Sie war noch nie da. "So weit bin ich nicht gekommen."
Unser Mauerspaziergang hält sich an den Mauerweg. Der führt über die alte Kolonnenstraße nördlich des Tegeler Fließes, dort wo die DDR-Grenzposten früher patrouillierten. Wo hundert Meter südlich Sumpf ist, ist hier Brandenburger Sandsteppe. Zu diesem Kontrast fällt der Reinickendorferin allerdings nichts ein. Am Köpchensee, auf dem ein einsamer Schwan schwimmt, verlangt sie nach Wasser und als sich der Schildower Weg auftut, verlangt sie nach einem Abstecher. Und zwar nach Lübars. In den Dorfkrug. "Hunger", sagt sie, der hätte sie auch früher immer nach Hause getrieben, wenn sie mit ihren Freunden an der Mauer spielte.
Hinter der Blankenfelder Chaussee wirft man dann endlich einen ersten Blick auf die Heimat der Reinickendorferin. Das Märkische Viertel - "weißes Gebirge" - flankiert vom Fernsehturm: Auch zu Ostzeiten war von dieser Warte aus Berlin eine Einheit.
Nach diesem Blick lebt die Tour nur noch von Erinnerungen. Von der Wohnung der Großmutter im Märkischen Viertel konnte sie direkt auf die immer hell erleuchteten Grenzanlagen schauen. Einmal hätten sie und ihre Oma gesehen, wie ein Mensch erschossen wurde. Für die Reinickendorferin war immer klar: Die DDR ist ein Gefängnis. "Menschen im Zwinger", sagt sie. Und ihr Cousin, den sie zufällig auf der Straße trifft, der erinnert sich noch an das Hundegebell dazu. Die Tante aber, die sagt: "Manchmal haben wir Schilder aus dem Balkon gehalten für die Grenzposten." Drauf stand: "Kommt doch rüber".
Wo die Hochhäuser im Märkischen Viertel stehen, war früher ein "grüner Slum" - Laubenkolonien, in denen Leute das ganze Jahr wohnten. Die Urgroßmutter, Großmutter und die Mutter der Reinickendorferin samt deren Geschwistern, die haben in so einer Hütte den Krieg überlebt und das Danach auch, bevor sie in die Emmentaler Straße in Reinickendorf zogen und von da ins Märkische Viertel.
Die Tour führt nicht den Dannenwalder Weg entlang, sondern auf Ostberliner Seite entlang der Heinz-Brandt-Straße. Der Mann wäre am 16. August genau 100 Jahre alt geworden. Er war Jude, war in der KPD, kam erst ins Zuchthaus dann ins KZ - Sachsenhausen, Auschwitz, Buchenwald. In Auschwitz gehört er zu denen, die die Vernichtung dokumentieren und dieses Material aus dem Lager schmuggeln. Es gelangte tatsächlich in die Hände der Alliierten. Nach dem Krieg wird er SED-Funktionär. 1958 Flucht aus der DDR. In der BRD arbeitete er für die Gewerkschaft. Nach seiner Pensionierung war er in Antiatomkraftinitiativen aktiv. Zusammen mit seinem Freund Rudi Dutschke war Brandt auch beim Gründungsprozess der Grünen involviert. "Man hätte uns doch in Heimatkunde mal was von dem Mann erzählen können anstatt vom Reinickendorfer Aluminiumwerk und den Reinickendorfer Füchsen", sagt die Reinickendorferin.
Als sie kurz darauf die Hundepension am S-Bahnhof Wilhelmsruh sieht, erinnert sie sich an die Angst ihrer Freundinnen. Manchmal seien da Leute mit fünf Schäferhunden an der Leine rausgekommen. "Ganze Rudel jedenfalls. Da sind meine Freundinnen weggelaufen und haben das Gebell noch schlimmer gemacht. Fünf anschlagende Schäferhunde, die musst du erst mal zurückhalten."
Sie sei stehen geblieben. Sie wusste ja, dass man nicht weglaufen darf. Ihre Oma hatte einen Hund, da hat sie das gelernt mit dem Nicht-Weglaufen. "Ali" hieß der. Was bedeutet es, dass der so hieß? "Ach", sagt sie, "meine Oma stand auf dunkle Typen. Und Ali war schwarz."
In der Sackgasse hinterm S-Bahn-Bogen aber, da hat sie als Teenager mit ihrer Freundin zusammen immer an der Mauer gesessen. Einen Freund hatten sie auch dabei. Der hämmerte ständig auf etwas herum. "Wir dachten, Männer machen das so. Die müssten eben was hämmern." Abwechselnd hätten sie und ihre Freundin ihn dann auch geküsst. Denn: "Frauen, dachten wir, die müssen eben küssen."
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