Berliner Grüne im Umfragehoch: "Volkspartei? Scheint so zu sein"
In Umfragen liegt die Partei in Berlin bei 20 Prozent. Die neue Stärke scheint ihren Landeschefs aber noch nicht geheuer. Grund für den Boom sei ihre "seriöse Politik".
taz: Frau Franke-Dressler, die Grünen waren fast stärkste Partei bei der Europawahl, jetzt holen sie Spitzenwerte in Umfragen. Sind die Grünen nun eine Volkspartei?
Irma Franke-Dressler: Dass wir jetzt 20 Prozent in einer Umfrage erreicht haben, scheint darauf hinzudeuten.
Herr Gelbhaar, was ist denn für Sie eine Volkspartei?
Stefan Gelbhaar: Wenn man den Begriff denn nutzen will, dann sind Volksparteien wohl dadurch zu charakterisieren, dass in ihr eine große Vielfalt von Personen, Meinungen und Themen existiert. Und dass man dadurch auch ein Stück weit den Anspruch erhebt, nicht nur für eine einzelne Sache zu sprechen, sondern schon den Blick fürs Ganze sucht. Das vertreten wir von Anfang an, was jetzt von Vorteil ist.
Ist nun Schluss mit der kleinen Anarchopartei mit den lustigen Sprüchen?
Franke-Dressler: Warum sollte das so sein?
Die Doppelspitze der Berliner Grünen bilden die 2007 gewählte Irma Franke-Dressler (62) aus Zehlendorf und Stefan Gelbhaar (33) aus Pankow. Er rückte im April 2008 für die inzwischen verstorbene Barbara Oesterheld in den Vorsitz. Beide wurden Ende 2009 für zwei weitere Jahre im Amt bestätigt. Gelbhaar ist Anwalt. Franke-Dressler organisierte 2006 inSteglitz-Zehlendorf das erste schwarz-grüne Bündnis auf Bezirksebene.
Seit der Abgeordnetenhauswahl 2006 haben die Berliner Grünen in Umfragen kontinuierlich dazugewonnen. Im jüngsten Meinungsbarometer machten sie jetzt aber noch mal einen besonderen Sprung: Wäre am kommenden Sonntag Abgeordnetenhauswahl, würden 20 Prozent für sie stimmen.
Bei der Europawahl im Juni hatten die Grünen 23,6 Prozent bekommen, mehr als je zuvor. Das machte sie zum bundesweit erfolgreichsten Grünen-Landesverband.
Mit diesen Ergebnissen stehen sie derzeit mehr als doppelt so gut da wie zur Abgeordnetenhauswahl 2001. Da bekamen sie 9,1 Prozent, 2006 waren es 13,1 Prozent.
Weil es bei einer Volkspartei nicht so gut kommt, auch mal den Bürgerschreck zu geben.
Franke-Dressler: Wir haben doch die 20 Prozent bekommen, weil wir sind, wie wir sind.
Was haben dann die Grünen falsch gemacht, als sie noch vor ein paar Jahren bei der Abgeordnetenhauswahl 2001 nur 9,1 Prozent bekamen?
Franke-Dressler: Wir haben auch damals seriöse und bürgernahe Politik gemacht - ich habe da übrigens den Wahlkampf mitorganisiert. Ich erkläre mir den Unterschied damit, dass es einige Jahre gebraucht hat, bis wir damit durchgedrungen sind, und jetzt mehr Anerkennung dafür bekommen.
Am Europawahlabend rief Ihre Spitzenkandidatin Renate Künast einem Parteifreund zu: "Du wirst jetzt Regierender Bürgermeister." Müssten die Grünen nicht tatsächlich mit diesem Anspruch in die nächste Abgeordnetenhauswahl gehen?
Franke-Dressler: Eine politische Partei, die wie wir gut aufgestellt ist, will natürlich immer mitregieren.
Mitregieren wollen ist etwas anderes, als Anspruch auf die Spitze zu erheben.
Franke-Dressler: Ich denke, das ist nicht primär unser Ziel. Vorrangig ist für uns, noch stärker zu werden. Am Ende des Tages werden wir dann sehen, was möglich ist.
Was heißt: Das ist nicht primär unser Ziel? Welches größere Ziel gibt es für eine Partei, als die Richtung vorzugeben?
Gelbhaar: Wir haben natürlich einen Gestaltungsanspruch. Wenn wir die Richtlinienkompetenz eines Regierenden Bürgermeisters, einer Regierenden Bürgermeisterin bekommen, haben wir da nichts gegen. Aber ob wir das als Ziel ausrufen, werden wir zu gegebener Zeit entscheiden.
Sie klingen so zögerlich, als ob Ihnen Ihr neues Gewicht noch nicht geheuer ist.
Franke-Dressler: Wir müssen an dieser Entwicklung weiterarbeiten. Wir sind natürlich nicht böse um die zusätzlichen Prozente.
Ihr Fraktionschef Volker Ratzmann hat sich klar gegen Ideologen ausgesprochen, die anderen ihre Vorstellungen aufdrücken wollen. Das war ein ganz neuer Ton.
Franke-Dressler: Wir haben es immer abgelehnt, autoritär vorzugeben, wie Menschen sich zu verhalten und wie sie zu denken haben. Ich sehe da in Volker Ratzmanns Aussagen keine veränderte Position.
So tolerant sah das nicht aus, als die Grünen zur Bundestagswahl 2005 den CSUler Günther Beckstein nicht in Kreuzberg dulden wollten und Polizisten das türkische Lokal abriegeln mussten, in dem er redete.
Franke-Dressler: Beckstein war ja auch eine Figur, die mächtig polarisiert hat, das muss man ja schon mal sagen.
Und deshalb ist für ihn Kreuzberg tabu?
Franke-Dressler: Ihm gegenüber Protest auszudrücken wegen seiner für uns ausländerfeindlichen Äußerungen, das finde ich schon angebracht. Wer solche plakativen Äußerungen tut, der muss mit entsprechenden Reaktionen rechnen.
Gelbhaar: Und damit, dass ihm gesagt wird: Du bist hier nicht gern gesehen.
Da klingt es aber ganz anders, wenn Ratzmann jetzt sagt: "Es darf in Berlin keine No-go-Areas geben, auch nicht für Porsche-Fahrer".
Franke-Dressler: Diese Wahrnehmung stimmt nicht. Volker Ratzmann hat sich deutlich von kriminellen Aktivitäten abgesetzt, und das ist Konsens in unserer Partei.
Er hat aber nicht nur auf die Brandstifter gezielt, sondern selbst ernannte "Kiez-Taliban" unabhängig von der Frage der Mittel attackiert. Dafür ist er in der Partei kritisiert worden.
Franke-Dressler: Ich halte das nicht für vergleichbar.
Gelbhaar: Die Kritik in der Partei richtete sich gegen die sehr drastische Wortwahl und die dadurch in den Raum gestellten Vergleiche mit Afghanistan. Es ist typisch für den innerparteilichen Diskurs, dass man sich an Formulierungen reibt.
Wer Ratzmann hörte, musste denken: Bei den Grünen gewinnt das bürgerliche Prenzlberg gegen das alternative Kreuzberg.
Franke-Dressler: Wir haben da kein Gegeneinander, sondern ein Sowohl-als-auch.
Gelbhaar: Wenn wir Volkspartei sein wollen, dann müssen wir in Friedrichshain-Kreuzberg und in Prenzlauer Berg Mehrheiten gewinnen.
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