dgb und haushalt : Berliner Gefühl getroffen
Wo die Gewerkschaften Recht haben, haben sie Recht. Es ist skandalös: In diesem Land werden Steuervergünstigungen umgesetzt und diskutiert, die hauptsächlich Besserverdienenden nützen – während in Berlin, und nicht nur hier, bei den Ärmsten der Armen gestrichen und gekürzt wird, dass es quietscht. Dagegen die Stimme zu erheben – verständlich. Es ist ja auch beängstigend, mit welcher Selbstverständlichkeit sich der rot-rote Senat ans Werk macht, eine soziale Härte – etwa die Streichung des Sozialtickets oder die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit – nach der anderen durchzudrücken.
KOMMENTAR VON RICHARD ROTHER
Konsequenterweise fordern die Gewerkschaften die Rücknahme der Sparbeschlüsse in der Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik. Bei der wichtigen Frage aber, wie das hoch verschuldete Land dies bezahlen soll, bleiben sie recht vage: Steuerflucht verhindern und die Vermögensteuer wieder einführen, lauten die Stichworte. Abgesehen davon, dass Mehreinnahmen bei den eigenen Steuern die Einnahmen durch den Länderfinanzausgleich schmälern, scheinen solche Vorschläge derzeit bundespolitisch kaum durchsetzbar – selbst wenn der rot-rote Senat mit Macht darauf drängen sollte. Finanziell würde dies dem Senat also nicht viel nützen. Nebenbei bemerkt: Auch ohne die Belastungen durch die Bankgesellschaft wäre der Landeshaushalt hoch defizitär.
Dennoch haben die Gewerkschaften in einem Punkt Recht: Würde der Senat eine Diskussion über Armut und Reichtum in diesem Land anzetteln, könnte er sich einigen verspielten Kredit in Berlin wieder holen. Insbesondere bei denen, die leiden: unter der Arbeitsmarkt- und Gesundheitsreform der rot-grünen Bundesregierung ebenso wie unter den Einsparungen des rot-roten Senats.
Insofern treffen die Gewerkschaften das Gefühl vieler Berliner, die ohnehin nur selten zwischen bundes- und landespolitischen Verantwortlichkeiten unterscheiden. Dieses Gefühl heißt schlicht: Es reicht! Wird daraus eine größere Protestbewegung, wenn die Studenten-Aktionen in den Semesterferien abgeflaut sein werden?