Berliner G-20-Polizei hat ein bisschen gefeiert: Dürfen Bullen die Sau rauslassen?
Nach einer Party in ihrer Unterkunft sind drei Hundertschaften nach Berlin zurückbeordert worden. Von Strafen war die Rede. Ist das nicht ein bisschen überreagiert?
![](https://taz.de/picture/2098957/14/Bereitschaftspolizei.jpeg)
Na klar, Ihr Spießer!
Berliner BereitschaftspolizistInnen haben ein bisschen gefeiert und damit bundesweit Schlagzeilen gemacht. Ein Foto zeigt sie mit Bierflaschen und Shishas, die Arme in Siegerpose erhoben. Berichten zufolge haben sie in Reihe an einen Zaun gepinkelt. Ein Polizistin soll mit einem Bademantel bekleidet auf dem Tisch getanzt und eine Waffe geschwenkt haben, ein Pärchen hatte angeblich Sex im Freien.
Dass das dermaßen skandalisiert wurde, insbesondere von den Boulevardmedien, braucht einen nicht zu wundern, schließlich ist Sex der feuchte Traum eines jeden Schlagzeilenmachers. Mit etwas Abstand betrachtet, ist die ganze Empörung oder vielleicht treffender „Erregung“ ziemlich spießig.
Mal abgesehen von der Geschichte mit der gezückten Dienstwaffe – so sie denn stimmt – was ist denn schon groß passiert? Kollektives Schiffen ist ein Männerritual, und dass es Erwachsene miteinander treiben, gehört zum Lauf der Welt. Wenn jemand kein Problem damit hat, dass die KollegInnen dabei zusehen – bitteschön! Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der Big Brother im Fernsehen läuft und Sex im Kino gezeigt wird. Wobei anzumerken ist, dass es freundlicher ist, Sex zu zeigen als Gewalt.
Dem einen oder anderen dürften die Szenen aus der Bad Segeberger Container-Unterkunft vom Karneval, von Betriebsfeiern oder der Bundeswehr bekannt sein. Wer erzählt nicht gern, dass er einmal ein bisschen über die Stränge geschlagen hat? Die wilde Zeit von früher halt. Wer würde nicht gern mal selbst so eine Orgie erleben … eine klitzekleine? Avantgardistische Linke, die Blümchensex verhöhnen, dürfen erst recht kein Problem damit haben.
Wären die drei Hundertschaften nicht verpfiffen worden, wäre nichts passiert. Keiner kam zu Schaden – außer vielleicht den KollegInnen aus Nordrhein-Westfalen in derselben Unterkunft, die um 3.30 Uhr aufstehen mussten. Aber ein bisschen Schlafmangel ist verschmerzbar und noch lange kein Grund zu petzen! Gernot Knödler
Aus Prinzip nicht
Natürlich spielt Schadenfreunde eine Rolle, wenn über die Entgleisungen der Berliner Bereitschaftspolizisten in Hamburg gesprochen wird. Aber das ist ein gutes Zeichen: Ein gesundes Rest-Unbehagen gegen die Autorität ist geblieben – in einer Zeit, in der nach Gesetzesverschärfungen jeder für eine menschliche Reaktion gegenüber Polizisten in den Knast gehen kann.
Klar kann man sagen, dass jedem, auch Polizisten, vergönnt sein soll, ausgelassen zu feiern. Und vielleicht richten auch jene Beamten viel mehr Schaden an, die während der G-20-Demonstrationen ihre Knüppel nicht im Griff haben.
Aber ob sich eben jene Party-Polizisten im Dienst wohlüberlegt und bedacht verhalten hätten? Man ahnt Schlimmstes. Absurd mutet an, dass sich die Hundertschaften nicht mal einen Tag benehmen konnten und ihnen langweilig wurde – an einem Ort, wo Flüchtlinge monatelang wohnen mussten.
Der Suff- und Sex-Exzess der Berliner Jungbullen ist aber vor allem Ausdruck einer Kultur der Unantastbarkeit in der Polizei – nicht einmal von den eigenen Kollegen aus Nordrhein-Westfalen haben sie sich etwas sagen lassen.
Wer sich etwa anhört, was Menschen schwarzer Hautfarbe von Kontrollen berichten, der weiß, wie oft Polizisten auch im Dienst über die Stränge schlagen und meinen, über dem Gesetz zu stehen. „Sie legen Einspruch gegen diese Polizeimaßnahme ein? Ach, wie niedlich.“ „Meine Dienstnummer? 110.“
Wer die Schilderungen aus der Unterkunft in Bad Segeberg hört, kann sich auch vorstellen, wie Polizisten in eine Schunkelstimmung kommen, die Schikanen zu einem Vergnügen werden lässt.
Es ist der Korpsgeist, der auf solchen Sauf- und Kotzgelagen geschmiedet wird und der dazu dient, gewalttätiges Fehlverhalten zu decken. Wer der Willkür der Polizei einmal ausgesetzt war, weiß, dass daran nichts witzig ist. Jean-Philipp Baeck
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