Berliner Erfolgsgeschichte: Alles für die Familie
Van Tuyen Pham kam als 14-Jähriger allein aus Vietnam nach Deutschland. Als Schüler jobbte er als Tellerwäscher, nun eröffnet er sein 6. Restaurant.
Häppchen werden serviert: frittierte Aubergine, Tintenfisch auf Roter Beete, Ente mit fernöstlichen Zuchtpilzen. Eine Küche, die traditionelle indochinesische Einflüsse und westliche Essenskultur miteinander verschmilzt, das ist dem Mann wichtig, der sich Gastrokünstler nennt. Dazu werden Drinks gereicht.
Das Publikum ist so bunt wie Berlins Partyvolk: festlich gekleidete Asiatinnen, tätowierte Künstler und internationale Studierende. „Das sind die Kunden unserer anderen Restaurants. Sie sind unsere Freunde geworden und haben uns im Lockdown die Treue gehalten“, erzählt Phams Assistent Phuc Nguyen der taz. Über seinen Chef sagt er, der würde vor Ideen und Energie sprühen „und ich bin dann einer derjenigen, der ihm hilft, einen Teil davon umzusetzen“. Die Eröffnungsfeier ist professionell organisiert. Eine PR-Agentur kümmert sich um die Vermarktung. Pham lässt keinen Zweifel, wohin er will: in die erste Reihe der Berliner Gastroszene.
Van Tuyen Pham spricht ein Deutsch, das mit Fehlern behaftet ist. Reden ist aber grundsätzlich nicht so sein Ding. Er ist Single und Workaholic, sein Leben sind die Restaurants und die Familie und die sozialen Projekte in Vietnam.
Und so überlässt er die Eröffnungsrede seinem in Berlin geborenen Assistenten, den der gläubige Katholik in der vietnamesisch-katholischen Kirchengemeinde kennengelernt hat. Der erzählt, wie der erfolgreiche Gastronom im Alter von 14 Jahren nach Deutschland kam: allein und „mit nichts in der Hand, aber im Kopf die Idee von Freiheit“. Und wie der jahrelang von Abschiebung bedrohte Junge, der als Tellerwäscher angefangen hat, sich ehrgeizig die Restaurantkette Umami aufbaute: vier vietnamesische Restaurants in Berlins Szenebezirken, dazu ein Nudelrestaurant gleich um die Ecke am Hausvogteiplatz und nun schließlich das Bless, Phams hochpreisigstes Restaurant, das er gemeinsam mit einem Partner betreibt, der in einem Berliner Flüchtlingsheim zur Welt kam.
Bei der Rede lächelt der Inhaber peinlich berührt. „Er hat nicht vergessen, woher er kommt“, sagt der Assistent und weist auf die Bilder an der Wand des Nobelrestaurants. Fernöstliche Meerlandschaften, Boote im Sturm. Gemalt hat sie Le Minh Chau, ein 29-jähriger zentralvietnamesischer Künstler, Opfer in der dritten Generation des Pflanzengiftes Agent Orange, das im Vietnamkrieg versprüht wurde. Seit seiner Geburt kann er weder laufen noch seine Arme heben. Den Pinsel führt er mit dem Mund. Indem Pham seine Bilder gekauft hat, ermöglicht er dem Künstler ein eigenständiges Leben.
Pham stammt aus Zentralvietnam, einem Landstrich, der vom Wirtschaftsaufschwung in Fernost abgehängt wurde und nicht nur unter Agent Orange, sondern auch unter dem globalen Klimawandel leidet. Viele junge Menschen dort sehen ihre Zukunft in der Auswanderung. Sie gehen in die Industriegürtel von Vietnams großen Städten, nach Europa, Nordamerika oder in Vietnams Nachbarländer. Von dort schicken sie Geld an ihre Verwandten. Pham war 14, als er über Russland, Polen und Tschechien mit Schleppern nach Deutschland kam. Dass er Geld für seine Familie verdienen wollte, war kein Bleibegrund, darum wurde sein Asylantrag abgelehnt. Für eine Abschiebung war er aber zu jung. Halt fand er in der katholischen Gemeinde, Heimat in gutem fernöstlichem Essen. Ein Jesuitenpater vermittelte Pham in eine deutsche Pflegefamilie.
Tobias Eisenbarth, fünf Jahre älter als Pham, wurde der Pflegebruder des Vietnamesen. „Er lebte ja ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland“, erzählt er am Rande der Eröffnungsfeier. „Aber meinem Vater gelang es, ihn in einer katholischen Schule anzumelden.“ Der Schulbesuch war aber nicht die Leidenschaft des Vietnamesen. „Er arbeitete nebenbei in Restaurants. Er war ja mit dem Auftrag seiner Familie gekommen, die Schlepperkosten abzuzahlen und danach Geld zu schicken. Er musste Geld verdienen und war in der Schule oft müde.“ Sehr früh hätte sein Stiefbruder gewusst, dass er in Deutschland ein Restaurant eröffnen wolle, sagt Eisenbarth. „Er zeichnete mit 15 am Schreibtisch Skizzen der Einrichtung.“
Obwohl sie nur wenig Gemeinsamkeiten hatten, sei Pham ein angenehmer Stiefbruder gewesen. Trotz Stress wäre er wenige Tage vor der Eröffnung des Bless zum 81. Geburtstag des Pflegevaters gekommen. Seine ebenfalls nach Deutschland geflüchteten Geschwister hätte er als Leiter einiger seiner Restaurants eingesetzt. Seinem in Vietnam lebenden Vater hat Pham ein Haus gebaut.
Es sind die von den Auswanderern finanzierten Häuser, die bis heute junge Zentralvietnamesen motivieren, sich auf den gefährlichen Weg nach Europa zu machen. Polizei und einzelne Medien behaupten oft, sie kämen, weil ihnen Schlepperorganisationen falsche Versprechungen machen würden. Aber für Pham war die Schlepperbande nur ein Mittel zum Zweck, ohne sie wäre er nicht in die hochgerüstete Festung Europa gekommen. Und Versprechen von Schlepperbanden würden in Zentralvietnam nicht verfangen, gäbe es die von Auswanderern finanzierten schicken Häuser nicht. Dass nicht jeder Zentralvietnamese so eine Erfolgsgeschichte wie Van Tuyem Pham schreibt, dass andere von Schlepperbanden oder hier lebenden Landsleuten ausgebeutet werden, dass Frauen ihre Schlepperkosten sogar in der Prostitution abzahlen müssen, ist allerdings etwas, was man Angehörigen in Vietnam gern verschweigt.
Ohne Kirchengemeinde und Pflegefamilie wäre Phams Erfolgsgeschichte nicht möglich gewesen. Zweimal nach Erreichen der Volljährigkeit hat sein Pflegevater Pham aus dem Grünauer Abschiebegewahrsam herausgeholt. Erst nach dem mittleren Schulabschluss, den er nach fünf Jahren trotz Nebenerwerbs als Tellerwäscher geschafft hatte, bekam er ein Aufenthaltsrecht. Die Härtefallkommission würdigte damit seine gute Integration.
Phams Familie in Vietnam geht es jetzt finanziell gut. Weil die Regierung in Vietnam das nicht tue, unterstützt er von den Gewinnen seiner Restaurants mehrere Kinderheime und ein Heim für HIV-infizierte Schwangere und deren Kinder in seiner Heimatprovinz, sagt er.
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