piwik no script img

Berliner ErfolgseventScheitern könnte so schön sein

Die Berliner Fuckup Night ist auf Tournee und findet erstmals ohne Zuschauer und nur im Livestream statt. Sie ist kein Loser-Slam mehr.

Ist gerade im Moment wieder ein brandaktuelles Thema: Die Firmenpleite Foto: dpa

Eine gute Viertelstunde lang sieht man nur ein Fernsehtestbild, entsprechend überschlagen sich die hämischen Kommentare. Als der Livestream der Berliner Fuckup Night, die 2014 zum ersten Mal stattfand, sich daher die Mutter aller Fuckup Nights nennt und am Samstagabend Corona-bedingt erstmals ohne Publikum aus der Kartoffelhalle in Düsseldorf sendet, endlich doch beginnt, wird schnell klar: Die technischen Probleme am Anfang stellen fast noch den charmantesten Moment dieser Veranstaltung dar.

Die drei gescheiterten Unternehmer, die wie immer zuerst reden und schließlich miteinander diskutieren, kommen toppräpariert und wohlsortiert daher. Man gewinnt den Eindruck, hier geht es längst nicht mehr – wie anfänglich intendiert – um ein Loser-Slam, um Katharsis oder die Schönheit des Scheiterns an sich, sondern um die glanzvollen Möglichkeiten des Neustarts, beispielsweise als Unternehmensberater in Sachen Fehlererkennung und -behebung.

Ins Leben gerufen wurde die Berliner Fuckup Night unter anderem vom Musiker und Musikmanager Patrick Wagner, der in zwei Bands mit extremer Großspurigkeit auffiel und darum breit durch die Medien ging, als er zuerst mit seiner Plattenfirma Kitty-Yo und dann mit seiner Plattenfirma Louisville an die Wand fuhr. Eine Zeitlang galt Wagner als eine Art Posterboy der Berliner Coolness, als Prototyp des aus Westdeutschland nach Berlin geflüchteten Bürgersöhnchens, das hier erstmal nichts als Möglichkeiten sah.

Gegen die Arbeitsmoral

Viele Berliner schauten daher genau hin, als er die erste Fuckup Night initiierte. Sie hofften, dass es ihm um Grundsätzliches gehen möge, um die Infragestellung unserer Arbeitsmoral beispielsweise oder die lästige Aufforderung unserer Zeit, allzeit kreativ und flexibel zu sein.

Am Anfang, so hört man, leistete die Fuckup Night das ganz gut. Inzwischen haben von Commerzbank bis Otto Versand zahlreiche deutsche Unternehmen „My Fail“ oder „Fall 'n Fail Nights“ installiert; Christian Lindner hat bei einer Fuckup Night von der Pleite seiner Internetklitsche berichtet. Und jetzt auch noch die Corona-Krise, nach der sich endgültig kein Mensch mehr für seine Pleite wird schämen müssen.

Der noch immer grundsympathische Wagner begegnet seinen Gästen am Samstagabend zwar so einfühlsam wie charmant. Aber er weiß wenig darauf zu erwidern, als eine der Rednerinnen erzählt, sie sei durch die Krise leistungsstärker und belastbarer geworden. Wahrscheinlich ist es Zeit, dass Wagner nun auch seine Fuckup Night für gescheitert erklärt. Und was Neues anfängt.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!