Berliner CDU-Parteitag: Mit Sicherheit gegen Klaus und Renate
Die CDU gibt sich trotz Umfragetiefs selbstbewusst und beschließt einstimmig ihr Wahlprogramm. Spitzenkandidat Frank Henkel setzt auf law and order. Die Basis murrt leise vor sich.
Es kann ermutigend sein, einen CDU-Parteitag mitzuerleben. An wenigen anderen Orten lässt sich derzeit so gut lernen, wie man sich selbst motiviert und aus wenig viel Selbstbewusstsein zieht. Mickrige 18 Prozent hat die Partei zuletzt in einer Umfrage bekommen. Und doch ist an diesem Wochenende ein ums andere Mal aus tiefster Inbrunst zu hören, dass Frank Henkel nach der Abgeordnetenhauswahl am 18. September Regierender Bürgermeister sein wird. Und statt wegen der schlechten Werte enttäuscht von ihrem Spitzenkandidaten zu sein, wählt ihn die Partei mit einem fast sozialistischen Ergebnis von 96,6 Prozent erneut zum Landesvorsitzenden und beschließt zudem einstimmig das unter seiner Führung entstandene Wahlprogramm.
Dass SPD und Grüne derzeit mit je 29 Prozent Lichtjahre vor der CDU liegen ist alles nur dem Bundestrend geschuldet und für Henkel ohnedies nur eine Blase: Die Finanzkrise habe ja gezeigt, dass „gerade die Werte, die am lautesten angepriesen wurden und am meisten Rendite versprochen haben, sich nachher als Totalausfall erwiesen haben.“ Die Berliner, ist sich Henkel sicher, würden sich am Ende „auf ehrliche und sichere Werte verlassen“, nach seinem Verständnis also auf ihn und seine Partei. Die Spitzenkandidaten der Konkurrenz versucht Generalsekretär Bernd Krömer wegen kaputter Straßen und flächendeckendem Tempo 30 – als „Schlagloch-Klaus und Schnecken-Renate“ lächerlich zu machen, was bei den knapp 300 Delegierten im Neuköllner Tagungshotel durchaus funktioniert.
Die Partei, die also als ehrlicher und sicherer Wert punkten werden will, setzt wenig überraschend auch im Wahlprogramm, das unter breiter Bürgerbeteiligung entstand, im Schwerpunkt auf Sicherheit. Das werde gerne abfällig als Law-and-order betitelt, sagt Henkel. „Aber für mich sind Gesetz und Ordnung keine Schimpfwörter, sie sind Grundlage für unser Zusammenleben.“ Beim Thema Integration, neben Bildung und Wirtschaft der vierte Eckpunkt des Programms, sind für den CDU-Chef „an einigen Stellen nicht mehr Angebote, sondern mehr Druck die richtige Antwort“.
Bürgernähe und Kritikfähigkeit aber soll beim Parteitag vor allem ein anderer zum Ausdruck bringen. Die Berliner Union hat dazu Heiner Geißler eingeladen, den vom Saulus zum Paulus mutierten früheren Generalsekretär und Hardliner der Union und kürzlichen Stuttgart-21-Schlichter. Der malt ein Bild von einer CDU, deren Zukunft schwarz-grün heißt, die das Demonstrationsrecht hoch hält, die Protesten von Bürgern zuhört, statt sie wie in Baden-Württemberg als Fortschrittsbremser oder Feierabendrevoluzzer abzutun.
Später wird ein altgedienter Abgeordneter am Rednerpult sagen, Geißler sei „ein großer CDU-Mann“, und dabei in Anspruch nehmen, für alle im Saal zu sprechen. Unter den Delegierten aber hörte sich das ganz anders an. „Das würde ich jetzt nicht beklatschen“, sagt neben der Pressebank ein Delegierter, als Geißler die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke im vergangenen Jahr eine katastrophale Entscheidung nennt.
Ein anderer Abgeordneter murmelt: „Zurecht“, als Geißler sagt, viele seien über seine Attac-Mitgliedschaft entsetzt gewesen. Und als Geißler den früheren Ministerpräsidenten Stefan Mappus dafür lobt, dass er den Grünen eine halbe Million Euro für Gutachten zu Stutgart 21 zur Verfügung stellte, sagt der CDU-Kreischef von Treptow-Köpenick, Fritz Niedergesäß, hörbar: „Schade um das Geld“. Ein weiterer halblauter Kommentar eines Abgeordneten: Da lasse man „einen alten Herrn seine Geschichten erzählen“. Wie hat das Herbst Grönemeyer in seinem Lied „Mit Gott“ über die CDU formuliert? „Die paar aufrechten Querdenker in den eigenen Reihen/sind gut fürs Gesicht nach außen, intern ebnen wir sie ein“.
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