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Berliner BürokratieÄrztekammer schafft Armut

Einer dreifachen Mutter, die eine Umschulung zur Arzthelferin machen will, verweigert die Ärztekammer die Zulassung. Berufsberater hält das für rechtswidrig. Geld für einen Prozess ist keins da.

Kristina Regel dachte, sie hätte es geschafft. Die 27-jährige Mutter von drei Kindern glaubte, nach den Jahren zuhause nun doch noch einen Beruf erlernen zu können. Das Jobcenter hatte eingewilligt, ihr die Umschulung zur Arzthelferin zu finanzieren. Mithilfe ihres Berufsberaters hatte sie auch eine Praxis in Kreuzberg gefunden, die bereit war, die aus Kasachstan stammende Frau auszubilden. Selbst der Platz an einer Schule war ihr sicher.

Kristina Regel arbeitete schon in der Praxis, als im März die Mitteilung von der Ärztekammer eintraf: Nach der neuen Prüfungsordnung dürfe sie nicht zugelassen werden. Weil sie keine andere Ausbildung abgeschlossen hat, müsse sie vor einer Umschulung mindestens viereinhalb Jahre erwerbstätig gewesen sein. "Frau Regel erfüllt nicht die Voraussetzungen. Ausnahmeregelungen sieht die Prüfungsordnung nicht vor", schrieb die Kammer.

Kristina Regel hat bisher insgesamt drei Jahre gearbeitet, unter anderem als Putzfrau. Hätte sie anderthalb Jahre länger geputzt, wäre sie zugelassen worden. "Warum ist das Putzen für meine Umschulung wichtig? Das verstehe ich nicht", sagt sie.

Auch Lutz Basse vom "Club Dialog", einem Beratungszentrum für Migranten, kann keinen Sinn in dieser Bedingung erkennen. Er hat sich die Prüfungsordnungen anderer Bundesländer angeschaut. "Nur die Berliner Ärztekammer hat besondere Voraussetzungen für Umschüler festgeschrieben", sagt er.

Pech für Kristina Regel: In der alten Prüfungsordnung wurden Erziehungszeiten zur Hälfte anerkannt; nach der neuen Ordnung, die seit dem vergangenen Herbst gilt, aber nicht, wie Basse feststellen musste. Er sieht in dieser Streichung einen Verstoß gegen das Berufsbildungsgesetz. "Dort heißt es wörtlich: ,Auszubildenden, die Elternzeit in Anspruch genommen haben, darf bei der Entscheidung über die Zulassung hieraus kein Nachteil erwachsen.'"

Die Ärztekammer meint, das sei auch nicht der Fall. "Eltern entsteht kein Nachteil, aber eben auch kein Vorteil aus der neuen Prüfungsordnung", sagte Christoph Röhrig, zuständig für die Berufsbildung. Die Ärztekammer müsse auf die Qualität der Ausbildung achten und habe deshalb die Bedingungen für die Zulassung formuliert. Eltern würden dabei genauso behandelt wie jeder andere auch. Im Fall von Kristina Regel heißt das: Längeres Putzen wäre als Qualifizierung für die Umschulung anerkannt worden, nicht aber die Kinderbetreuung. "Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Elternzeit ein bildungsferner Tatbestand ist", sagt Röhrig.

Für Kristina Regel wäre die Ausbildung eine Chance gewesen, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen. Sie hat in St. Petersburg ein Jahr studiert. 1998 zog sie mit ihren Eltern in die Bundesrepublik, da ihre Familie ursprünglich aus Schwaben stammt. Regel heiratete bald und bekam mit ihrem Mann drei Kinder. "Der Große geht inzwischen in die Schule, die Kleinen in den Kindergarten. Ich will arbeiten, nicht nur in der Wohnung sitzen", sagt sie. Auch wegen des Geldes: Ihr Mann hat keinen Job.

Damit doch noch etwas aus der Umschulung wird, hat Lutz Basse mehrere Briefe geschrieben, einen davon an die zuständige Senatsverwaltung. Die Antwort macht Regels Hoffnungen zunichte. "Die Entscheidung der Ärztekammer ist nicht zu beanstanden", heißt es da. Lutz Basse kann es nicht glauben. Er würde die Sache gerne vor Gericht bringen, könne die Kosten aber nicht übernehmen. Und Kristina Regel, die nun wohl auf Dauer Hartz-IV-Empfängerin bleiben wird, hat für einen Prozess auch kein Geld.

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