Berliner Büchereien: Lesen ist Sache der Bezirke
Rot-Rot lehnt Bibliotheksgesetz ab, obwohl eine gesetzliche Grundlage den Büchereien in ihrer prekären Lage helfen könnte. Grüne fordern Neuorganisation der Einrichtungen in den Bezirken.
Die rot-rote Landesregierung zeigt, abgesehen von Neubauplänen für Bibliotheken am Humboldt-Forum und in Tempelhof, den städtischen Büchereien die kalte Schulter. Den Anlauf zu einem neuen Bibliotheksgesetz haben SPD und Linke am Montag im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses abgebrochen. Als Grund nannten die Koalitionäre mangelnde verfassungsrechtliche Kompetenzen des Senats gegenüber den Bezirken. Im Koalitionsvertrag 2006 war wegen der prekären Lage vieler Einrichtungen die Neuorganisation der Bezirksbibliotheken und Büchereien beschlossen worden.
Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) räumte ein, dass es "große Defizite" gebe und die "bezirklichen Probleme angegangen werden müssen". Es sei wichtig, dass die flächendeckende Versorgung und qualitative Ausstattung der Häuser mit Literatur, neuen Medien und Personal verbessert werde. Den "zentralen Eingriff" per Gesetz in die bezirkliche kulturelle Hoheit lehnte er aber ab. Schmitz sprach sich - ebenso wie Thomas Flierl (Linke) - für ein Modell "zwischen kommunaler Selbstverwaltung und Zentralismus" aus.
Die Berliner Bezirke halten bei der Schließung öffentlicher Bibliotheken bundesweit einen unrühmlichen Rekord - obwohl die Bildungseinrichtungen mit rund 19 Millionen Entleihungen pro Jahr boomen. Zwischen 1999 und 2008 hat sich die Zahl der öffentlichen Bibliotheken und Büchereien von knapp 200 auf 82 reduziert. Zugleich wurden die Mittel um sage und schreibe 10 Millionen Euro auf 3,3 Millionen Euro sowie Angebote und Personal abgebaut. Die Bezirke finanzieren die Institutionen - wenn überhaupt, da "freiwillig" - jeweils unterschiedlich aus ihrem Globalsummenhaushalt.
Unterstützung erhielt Rot-Rot am Montag von Christina Emmrich (Linke), Bürgermeisterin von Lichtenberg und Mitglied im Rat der Bürgermeister. Diese, so Emmrich, lehnten ein Bibliotheksgesetz ab. Vielmehr müssten die Globalsummen für die Bezirke erhöht werden. "Die Bezirke haben das Recht, selbst über Kulturausgaben zu entscheiden.
Scharfe Kritik übten die Grünen. Angesichts der immer prekärer werdenden Lage der Büchereien sei ein Gesetz "unumgänglich", erklärte Alice Ströver, grüne Ausschussvorsitzende. Der Bestand und die Qualität der Büchereien seien gefährdet.
ROLF LAUTENSCHLÄGER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen