Berlinale: Aspirin-C-Festival
Der Potsdamer Platz hat mit Berlin wenig zu tun. Eklig ist die Gutdrauffi-Sat.1-Kuh
Die Berlinale ist das schönste „Kulturereignis“, auf das man sich dementsprechend vorbereitet. Früher zog ich mich möglichst unordentlich, also normal an, wenn ich etwa auf den Empfang des Forums des Jungen Films ging, um mich von der vermeintlichen Kulturbourgeoisie abzusetzen, und hatte einmal sogar eine Plastiktüte dabei, um als Kreuzbergzitat Büffetreste mit nach Hause zu nehmen, was ich dann doch nicht tat; diesmal strickte ich mir einen schönen Schal, allerdings auch, weil ich mich ordentlich krank fühlte, was normal ist, denn viele Journalisten bekommen vor der Berlinale psychosomatische Erkältungskrankheiten. Leute aus den Auswahlkommissionen brechen zusammen und verenden dann in den Rinnsteinen zwischen den Ratten, deren Bäuche Mercedes-Benz für seine Airbags verwendet. Die Berlinale ist nicht zuletzt auch ein Aspirin-C-Festival und der Potsdamer Platz, „der schönste Platz in Europa“, wie DIE WIDERWÄRTIGE von SAT.1 auf der Reklameleinwand vor dem Eingang des so genannten Berlinale-Palastes versichert, ist scheiße! Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde auf die Idee kommen, außerhalb der Filmfestspiele zum Potsdamer Platz zu gehen. Mit Berlin hat der Potsdamer Platz wenig, mit Bochum oder einer Spielzeugstadt dagegen viel zu tun. Es ist völlig deprimierend, wenn man vor dieser von L'Oreal, Mercedes und SAT.1 gekauften Werbeleinwand steht und so eine Gutdrauffi-SAT.1-Kuh schreit einen ständig mit ihrer ins gutdrauffige überdrehten Stimme an.Wenn sie in einem nur halbwegs vernünftigen Killerfilm mitspielen würde, wäre sie das erste Opfer und jeder, der noch einer menschlichen Regung fähig ist, wäre glücklich darüber. Detlef Kuhlbrodt
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