Berlinale „Marighella“: Die Guerilla hat immer recht

Im Berlinale Wettbewerb, aber außer Konkurrenz: Wagner Mouras Spielfilm über den Erfinder des „Konzepts Stadtguerilla“.

Ein mann mit einem Kind auf dem Arm

Marighella wird von dem Schauspieler und Musiker Seu Jorge verkörpert, der einen modernen Vater spielen muss Foto: O2 Filmes/Berlinale

Carlos Marighellas „Minihandbuch des Stadtguerilleros“ war in den späten 1960er Jahren ein bekanntes Werk. In der Bundesrepublik inspirierte es Gruppen wie die Bewegung 2. Juni oder die Rote Armee Fraktion.

Wagner Mouras Spielfilm „Marighella“ erzählt von der Phase der Radikalisierung des legendären brasilianischen Theoretikers und Aktivisten in den Jahren 1964 bis 1969. Das Militär hatte im größten Staat Lateinamerikas die Macht an sich gerissen. Kommunistische Politiker wie der 1911 in Salvador da Bahia geborene Marighella wurden in den Untergrund gedrängt.

Wagner Mouras Film zeigt zu Beginn einen Marighella, der eine Art studentische Kinderguerilla bei einem Überfall auf einen Zug anführt. Es wirkt dabei etwas linkisch, camouflagehaft, wie die jungen Frauen und Männer da vorgehen. Während viele der jugendlichen Mitglieder des Kommandos hypernervös dargestellt sind, bleibt einer cool: Marighella, von dem Schauspieler und Musiker Seu Jorge verkörpert.

„Marighella“ dauert satte 155 Minuten und seine bevorzugte Kameraeinstellung wird das frontal herangezoomte Gesicht von Seu Jorge bleiben. Seu Jorges bevorzugte Marighella-Mimik wird wiederum ein verführerischer Augenaufschlag samt Lausbuben-Lächeln sein. Wagner Moura, selber ein bekannter Schauspieler („Narco“, „Tropa de Elite“) will Marighella in seinem Debüt als Regisseur unverkennbar ein Denkmal setzen.

Der Film kennt keine Widersprüche

Dabei war Marighella sicher eine charismatische Persönlichkeit. Doch die mangelnde Souveränität und Distanz gegenüber historischem Stoff und Person führen in ein Heldenepos. Dieser Film kennt keine Widersprüche, thematisiert zum Beispiel die eindimensionalen Imperia­lismus- und Kapitalismus­theorien auf der linken Seite von damals nicht. Er gefällt sich so vor allem daran, das rechte Lager vorzuführen.

Der damals teilweise tatsächlich faschistisch agierende brasilianische Sicherheitsapparat wird in Gestalt des mörderischen Agenten Lúcio (Bruno Gagliasso) ausgiebig ins Schaufenster gestellt, wobei das Reenactment von Folterszenen die Grenze des filmisch Erträglichen überschreitet. Man muss die stumpfe, tatsächlich ausgeübte institutionelle Gewalt nicht in solch naturalistischer Form und Ausdauer zeigen, wie dieser Film dies tut.

Humorfrei entfaltet „Marighella“ eine brasilianische „Bella-ciao“-Ästhetik

Wagner Mouras „Marighella“-Ästhetik lässt so unfreiwillig tief blicken. Vor allem offenbart sie einen bezeichnenden Ausschnitt in die Denkweise des linken Populismus in Lateinamerika, und wie dieser sich die Geschichte heute zurechtlegt.

„Bella-Ciao-Ästhetik“

Völlig humorfrei entfaltet „Marighella“ eine brasilianische „Bella-Ciao-Ästhetik“, die so tut, als ließen sich die Kämpfe von damals auf heute spiegeln und durch ein bisschen Polit-Rap aktualisieren. Hat hier jemand Sehnsucht nach den alten Frontverläufen? Es können die Polarkappen abgeschmolzen sein, doch für Leute wie Wagner Moura scheint der Kalte Krieg immer noch nicht vorbei.

16. 2., 9.30 Uhr; Haus der Berliner Festspiele; 16. 2., 12 u. 21 Uhr, Friedrichstadt-Palast

Dabei unterschlägt das Drehbuch nicht, dass der Militärputsch in Brasilien zunächst auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stieß. Nur, warum dies so war, und der Widerstand und die demokratischen Kräfte so schwach, dazu gibt es keine Hinweise.

Penetrant und fratzenhaft stattdessen die Darstellung des Einflusses der US-Regierung auf das Geschehen in Lateinamerika. Bis heute dient sie dem Linkspopulismus dort als Ausrede für das eigene Versagen, und lässt sie mit der Rechten in Sachen Nationalismus und Antiamerikanismus wetteifern.

Wagner Moura versucht einzig mit etwas Geschlechts­moralismus an heutige Diskurse anzudocken. Sein so alt inszenierter Marighella muss in eine modernere Geschlechterrolle schlüpfen, eines zu jeder Zeit treu liebenden und an seinen Sohn denkenden Vaters. Das nennt man Opportunismus. Dieser Film will radikal sein. Und ist es in seiner kritiklosen Affirmation des 1969 vom brasilianischen Geheimdienst ermordeten Guerillaführers gerade nicht.

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